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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Autoren: Kai Strittmatter
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Sie Peking wiedererkennen. Nein, nicht mit der Nase: Am Geruch geht das leider auch nicht mehr, seit die uighurischen Kebab-Brater von der Straße vertrieben wurden. Spitzen Sie einfach die Ohren. Hören Sie’s jetzt? Den Taxifahrer, der wie im Selbstgespräch die Fahrt vom Flughafen bis zum Hotel mit Flüchen belegt; das auf- und abschwellende Zirpen der Zikaden in den Bäumen, wenn Sie aussteigen; das sphärische Aufheulen im Himmel, wenn ein Schwarm jener von ihren Züchtern mit kleinen Pfeifen am Bein versehenen Tauben über Ihnen abdreht; schließlich, in Ihrem Zimmer, das beinah schon vergessene Gluggern der Heizungsrohre, als habe das Gebäude endlose Blähungen, das vertraute Klopfen der Hämmer und lieb gewonnene Kreischen der Bohrer aus dem Stockwerk unter Ihnen: Ach Peking, du hast mich wieder.
    Und jetzt: Kissen übern Kopf.

Wie Sie in China eine Straße überqueren
     
    Chinas Autofahrer lernen das Fahren nicht auf den Straßen der Städte, sondern auf eigens angelegten Übungsplätzen weit außerhalb. Alles andere wäre zu gefährlich. Für die Fahrlehrer. Und deren Sicherheit steht an erster Stelle, liefern sie doch schnellen Ersatz (→ Crashflow ) für all jene Schüler, die sich im wirklichen Leben alsbald gegenseitig von der Straße boxen.Wenn der Augenschein nicht trügt, arbeiten die Fahrschulen auf der Basis neuesten Lehrmaterials aus Rom und Mogadischu unter Herausarbeitung »chinesischer Besonderheiten« (Beispiel: Scheinwerfer an Bussen und ähnlichem Großgefährt über 7,5 Tonnen sind dazu da, pünktlich zum Einbruch der Dunkelheit ausgeschaltet zu werden). Trainiert werden folgende Disziplinen: rechts einordnen, um links abzubiegen; links einordnen, um rechts abzubiegen; gar nicht einordnen und trotzdem abbiegen. Alsdann das einfache Rechts-Überholen; das Rechts-Überholen unter Einbeziehen der Fahrradspur; sowie das Profi-Rechts-Überholen (hier darf die Zahl der dabei überrollten Fahrradfahrer an sonnigen Tagen nicht mehr als zwei übersteigen, die Ausnahmeregelungen für Regentage sind in den zuständigen Ämtern einzusehen). Schließlich – als Zugeständnis an die chinesische Lust zur Zusammenrottung – das Freestyle-Kreuzen an zentralen Knotenpunkten mit anschließendem engstmöglichen Ineinander-Verwickeln unter besonderer Missachtung aller Regeln der Logik und des Eigeninteresses. Sonderpunkte sowie eine lobende Erwähnung in den Sportteilen der Zeitungen gibt es in Peking für das Generieren eines Staus nach Mitternacht, eine populäre Übung für Fortgeschrittene, wozu in der Regel nicht mehr als zwei sich auf einer leeren Kreuzung aufeinander zubewegende Fahrzeuge benötigt werden: Die beiden bilden den Keim, an den nachfolgende Wagen dann andocken.
    Eine theoretische Prüfung gibt es auch. Auf Chinas Straßen sterben pro Jahr 110000 Menschen, die Zahl stammt von der Jinan-Universität in Kanton. Das ist sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur Zahl der Autos Weltrekord, also sollte es Sie nicht verwundern, wenn Sie in einem chinesischen Spielfilm (»Die Prüfungs-Familie«) einen Prüfer den Schüler fragen sehen: »Sie sehen vor sich plötzlich einen Fußgänger und einen Hund auftauchen – wen überfahren Sie: Mensch oder Hund?« (Richtige Antwort: »Keinen von beiden.Sie bremsen.« Hätten Sie gewusst? Sehen Sie, ist doch gar nicht so schwer.)
    Von der Fahrschule grundsätzlich befreit sind Vertreter der Armee und Botschaftsangehörige.
    Verkehr in Chinas Städten ist illustrierter Darwinismus. Ganz unten durch den Dschungel der Straßen schleicht der greise Rückwärtsgänger mit Transistorradio am Ohr: leichte Beute. Es folgen in aufsteigender Reihe: der gemeine Vorwärtsgänger, eine erstaunlich robuste Spezies, die sich in ihrem Migrationsverhalten weder von Ampeln, Zäunen noch heranrollenden Wagen beirren lässt und letztlich durch Masse behauptet; ferner das eine oder andere überlebende Exemplar des in grauer Urzeit die Savannen Pekings bevölkernden Radlers; sodann der von frustrierten Polizisten gern gejagte, weil nicht sehr wendige und meist unterwürfig die Kehle darbietende Dreiradfahrer. Eine Stufe der Evolution darüber bewegen sich a) der Auto fahrende Jungstolz, b) der hinter dunklen Scheiben schwebende Mercedes-Mandarin und schließlich c) der jenseits von Gut und Böse schwebende Lastwagenpilot (»Er raucht noch« – für einen Lkw in China genügt dies, um auf die Straße gelassen zu werden). Für alle gilt: Autofahren in China ist
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