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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Hubert Mania
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auf dem Titelblatt und, in lateinischer und deutscher Schrift mit allen Vornamen inklusive «Braunschweig, Wendengraben», auf dem Vorsatzblatt. Seit September 1788 lässt er morgens Büttners Schulstube buchstäblich links liegen und schlüpft zwischen Katharinenkirche und Opernhaus hindurch, ein paar Dutzend Schritte weiter als bisher, zur Pforte des Katharineum-Gymnasiums am Hagenmarkt. Dass er jetzt Gymnasiast sein darf, ist trotz seiner offenkundigen Begabung nicht selbstverständlich. Schwere Gefechte mit dem Vater sind vorausgegangen. Denn der hat partout nicht einsehen wollen, woher ausgerechnet sein neunmalkluger Herr Sohn die Frechheit nähme zu glauben, er sei zum Luftikus geboren, zum Taugenichts, der die Geschäfte des eigenen Vaters kaum zufriedenstellend unterstütze, ein weltfremder Büchernarr, der selbst am hochheiligen Sonntag noch bis tief in die Nacht hinein mit einer Emsigkeit und Zielstrebigkeit, die er doch bitte einmal nur in Stall, Hof und Garten zeigen möge, Löcher in Bücher hineinstiert … der kleine Herr Professor Carl vom Wendengraben mit seiner selbstgeschnitzten Funzel, einer halbierten und ausgeschabten Runkelrübe, in die er Rindertalg als Brennstoff schmiert, damit der feine Pinkel ja nur weiter im Schein des «Ölkrüsels» [Hän: 19] lesen könne – die Augen werde er sich dabei noch verderben … nun aber sei eines Tages der Nachbarsbengel Martin bei ihm aufgekreuzt, der Sohn des Zinngießers Fritze Bartels, und habe selbstbewusst und ähnlich geziert in reinstem Hochdeutsch auf ihn eingeredet wie sein Herr Sohn, wenn der sich seine wohlverdienten Backpfeifen abholen komme wegen unablässigen Glotzens in dicke fette Bücher, die kein vernünftiger Mensch verstehe. Der Bartelsmartin also: noch so ein junger Herr Professor Milchbart vom Wendengraben, der glaubt, was Besseres zu sein als sein alter Herr und Zinngießer. Dieser Grünschnabel also habe die Unverschämtheit besessen, ihn, den gestandenen Hausschlachter und Lehmmaurer, der drei Männern Brot und Arbeit gebe, in höflichem Ton zwar, aber in der Sache unnachgiebig, aufzufordern, seinen Sprössling nach der Schule weniger in Hof und Garten einzuspannen und ihm mehr Zeit zum Privatstudium zu gönnen, ihn vielleicht sogar vom allabendlichen Flachsspinnen freizustellen. Denn sein kleiner Carl sei kein gewöhnlicher Schüler, sondern habe gerade sein famoses mathematisches Talent in Schreibmeister Büttners Schule bewiesen, sei zu Höherem berufen und müsse unbedingt aufs Gymnasium gehen und später studieren. Martin würde sich geehrt fühlen, bis dahin regelmäßig mit seinem begabten Sohn privat studieren und ihn in die höhere Mathematik einführen zu dürfen. In der Katharinenschule könne Carl ohnehin nichts mehr lernen.
    Gebhard wird bei dieser ersten Begegnung mit Martin Bartels sicherlich auch einen Funken Stolz auf seinen missratenen Sprössling gefühlt, doch den enthusiastischen Bittsteller erst einmal eiskalt abserviert haben. Aber der ist genauso hartnäckig wie sein Kontrahent Gaußvater und wird wiederkommen. 1786, im Todesjahr Friedrichs des Großen und im Jahr der ersten öffentlichen Talentprobe des kleinen Carl Friedrich, ist Martin Bartels 17 Jahre alt und hat einen Traum: Er möchte Mathematik studieren.

    Auch der Subsidienvertrag, den Herzog Ferdinand zehn Jahre zuvor mit dem König von England geschlossen hat, läuft in diesem Jahr ab. Die an Georg III. verkauften Soldaten haben nicht ins Rad der Geschichte greifen können. Die Überlebenden kehren als Verlierer von den Schlachtfeldern des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs zurück. Die eigensinnigen höchsten Repräsentanten der siegreichen Freiheits- und Glückssucher in der Bretterhütten-Wildnis von Massachusetts und in den vornehmen Villen Philadelphias werden eine radikal neue Regierungsform erproben, die Furore machen und vor allem in Paris bald glühende Anhänger finden wird. In Braunschweig zählt indessen Ferdinands Finanzminister die aus London eintreffenden Werbetaler und Sterbegroschen zusammen, während manche Frauen, Mütter und Kinder bangen und hoffen, dass ihre Männer, Söhne und Väter unter den Überlebenden sein mögen, die vom Überseehafen Stade aus zu Fuß nach Braunschweig marschiert kommen.
    Im Kampf gegen den Bildungsnotstand in seinem Fürstentum holt Herzog Ferdinand, ebenfalls 1786, den Pädagogen Joachim Heinrich Campe von der Spree an die Oker. Er kennt Campe, den Erzieher der Brüder Alexander und Wilhelm von
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