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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Hubert Mania
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Netzwerk, das sich gerade in rasanter Geschwindigkeit täglich und stündlich unter seiner Schädeldecke neu knüpft, werden die Zahlen nicht einfach nur als nützliche Symbole der Ordnung geduldet, sondern als wahre Freunde fürs Leben willkommen geheißen. Hier eröffnen sich ihnen großzügig bemessene Spielräume, in denen sie unter kluger Aufsicht ihre Beziehungen zueinander frei entfalten und ungeahnte neue Dimensionen ihrer Existenz erkunden werden.

    Wann Carl Friedrichs Urgroßvater Hinrich Gooß geboren wurde und wann er starb, ist nirgendwo verzeichnet. Auch seine Herkunft liegt im Dunkeln. 1683 heiratet er in Völkenrode, einem Dorf im Braunschweiger Land, die Witwe Anna Groven [Hän: 5].
    Sie ist dort Besitzerin eines Kothofes – ein Bauernhaus ohne Gehöft und bewirtschaftbare Äcker, aber mit einem Garten und einer Koppel. Um zu überleben, ist das Paar vermutlich zu sogenannten Fuß- und Handdiensten gezwungen: Die Eheleute müssen sich also bei einem Bauern oder Gutsherrn als Tagelöhner verdingen. Natürlich werden auch die vier Kinder früh eingespannt. Sie jäten im Sommer das Unkraut auf den Äckern des Gutsherrn, schneiden auf Wiesen und an Feldrainen Grünfutter, hüten die Gänse, gehen im Haushalt und im Garten zur Hand. Um die allgemeine Schulpflicht auf dem Land wird noch gerungen. Die Eltern sind wenig begeistert von den Forderungen der Schulmeister und halten die Kinder, vor allem zur Erntezeit, energisch zum Schwänzen der Schule und zur Feldarbeit an. Und irgendetwas wird immer geerntet zwischen Mai und Oktober. Die in der Schule versäumte Arbeit muss nachmittags nachgeholt werden. Abends wird Flachs gesponnen und gestrickt. Zwölf Jahre nach der Hochzeit ist Anna tot, und Hinrich Gooß heiratet Ilse Geermanns, mit der er in neunjähriger Ehe einen Sohn und drei Töchter zeugt. Katharina Lüetken heißt seine dritte Frau. Sie gebiert in zwölf Jahren drei Söhne und eine Tochter. Die Todesursache von Anna und Ilse ist unbekannt. Doch Entkräftung, Kindbettfieber oder «Auszehrung» – eine bei frühgestorbenen Landfrauen auffallend häufig gebrauchte Formulierung – war damals an der Tagesordnung.
    Unter den insgesamt zwölf Geschwistern haben die Söhne aus dritter Ehe nach Hinrichs Tod keinerlei Chance, Erbansprüche auf den Hof in Völkenrode zu stellen. Sie müssen, wie es so roh und herzlos heißt, in die Fremde ziehen. Den jüngsten Sohn Jürgen treibt es mit seiner Frau Katharina Magdalene dann aber doch nicht allzu weit in die Welt hinaus. Nach einer guten Stunde Fußweg melden sie sich am 21. Januar 1739 als Neubürger im Braunschweiger Rathaus an. Ob für ihn überhaupt ein geringer Erbteil herausgesprungen ist oder ob er völlig mittellos in der Hauptstadt des Herzogtums ankommt, bleibt ungewiss. Dem Protokollanten im Rathaus teilt er mit, sich als Tagelöhner Arbeit in der Stadt suchen zu wollen. Ihm wird zur Auflage gemacht, zum nächsten Gerichtstag wieder zu erscheinen und «einen Thaler sowie einen Thaler zum Feuereimer nebst zwanzig Mariengulden Bürgergelder vor sich und seiner Frau sofort baar» [Hän: 7] zu zahlen. Laut Protokoll leistet er bereits zwei Tage später seine Abgaben und ist seitdem fest in Braunschweig ansässig.
    Jürgen Gooß schlägt sich als Saisonarbeiter durch, nennt sich Lehmentierer und Gassenschlächter. Lehmentierer arbeiten von Mai bis November als Tagelöhner auf Baustellen. Wenn im Herbst Nässe und Kälte das schnelle Abtrocknen der feuchten Lehmwände verhindern und ein sinnvolles Arbeiten unmöglich wird, beginnt die Saison der Hausschlachter. Nur in der kalten Jahreszeit können die geschlachteten Schweine einen Tag zum Auskühlen an der Hauswand zum Hinterhof hängen. Der Appetit auf Hausmacherwürste ist beispiellos in dieser Stadt, die berühmt ist für ihre Wurstspezialitäten. So scheint auch Carl Friedrichs Großvater sein Auskommen zu finden, wenn er im Winter mit seinen scharfen Messern und flinken Händen zum großzügig entlohnten Hauptdarsteller auf privaten Schlachtfesten wird.
    Er scheint auch den gewissen Unternehmergeist zu haben, den es braucht, um im Rahmen seiner bescheidenen Verdienstmöglichkeiten erfolgreich zu sein, denn noch im Oktober desselben Jahres 1739 hält ihn Peter Hoyer, ein entfernter Verwandter, für kreditwürdig genug, ihm sein Haus am Ritterbrunnen zu verkaufen. Es ist ein Häuschen von nur zwei Fensterbreiten, das im Volksmund «Honigkuchenstreife» genannt wird. Den Kaufvertrag unterschreibt er
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