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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Hubert Mania
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erstmals mit Gauß. Was ihn zu dieser eigenmächtigen Lautverschiebung seines Namens veranlasste und ob er dafür bürokratische Hindernisse aus dem Weg räumen musste, lässt sich nicht mehr ermitteln. Womöglich wollte er mit dem neuen Namen die Spuren seiner bäuerlichen Herkunft verwischen – Gooß bedeutet im niedersächsischen Platt Gans – oder sich von der klanglichen Nähe zu Gosse und Gosche distanzieren. Jedenfalls blickt Emporkömmling Jürgen Gauß jetzt vom Ritterbrunnen aus direkt auf die Parkanlagen des sogenannten Grauen Hofes, wo das Schloss für die Verlegung der herzoglichen Residenz von Wolfenbüttel nach Braunschweig hergerichtet wird. Es wird vereinbart, dass Gauß jährlich 5 Taler und 10 Groschen an Hoyer zahlen soll und nach dessen Tod alleiniger Eigentümer des Hauses sein wird [Hän: 8]. Für den Neu-Braunschweiger erweist sich dieser Vertrag als einträgliches Geschäft, denn nur vierzehn Jahre später verkauft er es für 217 Taler und erwirbt – just in dem Jahr, als Herzog Carl I. Einzug ins frisch renovierte Schloss hält – ein neues Haus am Wendengraben, fünf Minuten Fußweg vom Ritterbrunnen entfernt. Fast die Hälfte des Kaufpreises kann er anzahlen, der Hauptteil wird als Hypothek eingetragen und dem Braunschweiger Bürgermeister Wilmerding höchstpersönlich verpfändet.
    Katharina und Jürgen Gauß haben drei Söhne. Eine Tochter stirbt als kleines Kind. In den 21 arbeitsreichen Jahren, die dem unermüdlich Schaffenden noch bleiben, bevor die Auszehrung seinem mühseligen Streben nach Lösung von der Ackerscholle, nach Selbständigkeit, Grundbesitz und bescheidenem Wohlstand am 5. Juli 1774 ein Ende setzt, gelingt es ihm, die Hypothek um fast die Hälfte abzutragen. Ein Vierteljahr vor ihm wird Katharina vom Gallenfieber dahingerafft.
    Jürgens ältester Sohn Gebhard Dietrich ist beim Tod des Vaters 30 Jahre alt. Er wurde am 13. Februar 1744 noch im Häuschen am Ritterbrunnen geboren. Das Erlernen eines weniger kräftezehrenden Handwerks kommt für ihn nicht in Frage. Als «Haussohn» bleibt er ein unselbständiger, billiger Gehilfe des Vaters. Offenbar hat er sich dabei jedoch als würdiger Nachfolger der väterlichen Geschäfte empfohlen, hat mit ihm zusammen barfuß in Bottichen Lehm gestampft, mit dem Schlachtmesser umgehen gelernt und sich die geheime Würzmischung für die Gauß’sche Hausmacher-Rotwurst eingeprägt. Im April 1768 heiratet er Dorothea Emerenzia Warnecken. Neun Monate später kommt ihr Sohn Johann Georg Heinrich zur Welt. Doch ein Jahr nach ihrem Schwiegervater stirbt auch Gebhards Frau Dorothea 1775 im Alter von dreißig Jahren an den Folgen der Auszehrung.
    Gebhard aber findet schnell eine zweite Dorothea, die als Magd in Braunschweig arbeitet. Schon im April 1776 wird die ein Jahr ältere Dorothea Benze aus dem Dorf Velpke, rund 30 Kilometer nordöstlich von Braunschweig gelegen, seine neue Ehefrau. Sie stammt aus einer Steinhauerfamilie, deren männliche Mitglieder seit vielen Generationen im Steinbruch am Ortsrand ihrer anstrengenden Arbeit nachgehen. Der Velpker Sandstein ist berühmt. Er gehört zu den härtesten in ganz Deutschland und ist bei wohlhabenden Bauherren ein äußerst begehrtes Material für ihre Stadtvillen und Prunkbauten. Der Steinstaub, den Dorotheas Vater bei der Arbeit einatmet, zerstört seine Lungen. Bald spuckt er Blut und Schleim und zeigt alle Anzeichen einer Auszehrung, die von der Lungenschwindsucht ausgelöst und beschleunigt wird. 1748 hat sich Christoph Benze mit knapp 31 Jahren an den Velpker Steinwänden zu Tode geschunden. Da ist Töchterchen Dorothea gerade erst fünf Jahre alt. Sie kann nicht regelmäßig – wenn überhaupt – zur Schule gegangen sein, da sie zweifellos der Mutter zur Hand gehen musste. Als sie 1776 Gebhard Gauß heiratet, kann sie ein wenig lesen, aber schreiben hat sie nie gelernt.

    Der Wendengraben ist eine großzügig angelegte, breite Straße, die auf das Wendentor im nördlichen Teil der Stadtbefestigung zuläuft. Hinter dem Stadttor beginnt die Hamburger Heerstraße, sodass ein beachtlicher Teil des Fernverkehrs nach und aus Celle, Lüneburg, Hamburg und Lübeck am Gauß’schen Haus vorbeiführt. In der Straßenmitte verläuft ein breiter Wassergraben, der mit der Oker verbunden ist, ein im Harz entspringender Fluss, der vielarmig mitten durch die Stadt fließt und – an den Stadtmauern entlang – zum Bestandteil des Bollwerks wird. Über zwei feste Brücken und ein halbes Dutzend
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