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Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)

Titel: Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
Autoren: Gabriele Keiser
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schaffst das ja doch nicht , meldete sich schon wieder die böse Stimme. Wo willst du denn hin? Du hast nichts, und du kannst nichts. Scheiße bauen und dann abhauen. Den Kopf in den Sand stecken. Das ist das Einzige, was du kannst.
    Das Dröhnen in ihrem Hinterkopf verstärkte sich.
    Wann hörst du endlich auf, vor allem wegzulaufen?
    Diese blöden Stimmen.
    Weg mit euch. Weg!
    Tief in ihr war eine Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, nach Entspannung. Nach Geborgenheit.
    Ach, warum war nur alles so kompliziert? Das ganze Leben und überhaupt.
    Sie schaffte es nicht allein.
    »Karim!«, rief sie verzweifelt. »Karim.«
    Ihre Gedanken liefen in verschiedene Richtungen davon. Einzelne Fetzen trieben in die Vergangenheit, andere in die Zukunft. In ihrem Kopf tobte ein Kampf. Da waren so viele Fragen, die ohne Antwort blieben, und der eiserne Ring in ihrem Inneren schob sich enger und enger zusammen.
    Sie zog die Beine an, umklammerte sie wie ein Embryo. Sie konnte kaum noch atmen. Die Angst wurde langsam unerträglich.
    Reiß dich zusammen, Lilly. Du darfst dich dieser Angst nicht hingeben. Du darfst dich nicht aufgeben!
    Karim wird zurückkommen. Dann ist alles wieder gut. Es war noch jedes Mal so. Und er wird so tun, als ob nichts gewesen wäre.
    Sie konzentrierte sich auf ihren Atem, versuchte, den heftigen Herzschlag, so gut es ging, zu ignorieren. Sagte sich auswendig gelernte Sätze vor.
    Tief einatmen.
    Ich habe keine Angst. Mir geht es gut.
    Ich lasse mich nicht unterkriegen.
    Sätze, die manchmal halfen.
    Konzentriere dich auf etwas Schönes.
    Lilly versuchte, sich in den Moment hineinzufühlen, wie es war, in Karims Armen zu liegen. Seine Nähe zu spüren, seinen schmalen Körper an den ihren gepresst, und seinen Atem an ihrem Ohr zu hören. Ihre Hand tastete streichelnd ihren Arm entlang, hoch zu den Schultern und dann nach vorn über die Brüste. Sie spürte, wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten. Ihr Streicheln war Karims Streicheln. Ihre Hand, die jetzt auf ihrem Bauch lag und weiter ihren Körper hinabwanderte, war Karims Hand.
    Eine Weile gelang es ihr, sich dem Spiel ihrer Hände hinzugeben und den nagenden Gedanken, die am Rand ihres Bewusstseins lauerten, den Zutritt zu verwehren. Die Tränen waren versiegt. Sie spürte, wie die Anspannung in ihrem Körper nachließ. Sie lag da mit geschlossenen Augen, regelmäßigem Herzschlag und mit schönen Erinnerungen im Kopf. Der Schmerz und die Unruhe waren nicht mehr als eine Ahnung. Mit diesem Gefühl glitt sie zurück in den Schlaf.
     

2
    Der Spielplatz vor dem Mariendom lag verlassen. Die Schaukeln an den Ketten bewegten sich sacht hin und her. Kein fröhlicher Kinderlärm ertönte vom Sandkasten oder von der Rutsche. Im Garten auf der gegenüberliegenden Seite des Doms blühte ein Forsythienbusch. Es waren tatsächlich Forsythien und nicht die gelben Blüten von Winterjasmin, die den Forsythien täuschend ähnlich sehen und die eher in diese kalte Jahreszeit gepasst hätten. Dazu zwitscherten die Meisen.
    Die Natur spielte verrückt. Täglich meldete der Wetterbericht viel zu hohe Temperaturen für den Monat Januar. Keine Wetterkapriolen könnten die in erschreckendem Maße zunehmende Erderwärmung entschuldigen, hieß es. Alles hausgemacht. Allein der Mensch sei an der Klimakatastrophe schuld.
    In diesem Winter war noch keine einzige Schneeflocke gefallen. Wo sonst um diese Jahreszeit alles kahl und verdorrt war, blühten Rosen und Ringelblumen, sogar Veilchen mit ihren violetten Blüten hatte sie gesehen. Dies verstand, wer wollte. Veilchen waren Frühlingsboten, frühestens dem Monat März vorbehalten. Noch nie in ihrem Leben hatte Helene Kayner Veilchen im Januar gesehen. Und dieses Leben dauerte nun schon über siebzig Jahre.
    Jedoch an diesem frühen Morgen war trotz Erderwärmung und Klimakatastrophe von Wärme nichts zu spüren. Nebelschwaden krochen durch die Stadt, umhüllten Gebäude, Bäume und Sträucher, und über allem lag ein undurchsichtig trüber Himmel.
    Sie fand, dass es die übliche Kälte war, die ihr, wie stets um diese Jahreszeit, das Leben schwer machte. Vielleicht war es auch das trostlose Grau, das sie die Kälte in all ihren Knochen spüren ließ. Eine feuchte Kälte, die durch den Körper drang bis tief in die Seele hinein. Die teure, wollene Unterwäsche, die sie sich kürzlich geleistet hatte, nützte kaum etwas.
    Ein wenig wehmütig dachte sie daran, wie sie früher als Kind die kalten Winter genossen hatte. Damals konnte
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