Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Garou

Garou

Titel: Garou
Autoren: Leonie Swann
Vom Netzwerk:
würde sie mit einer Nadel stechen und ihnen stinkende, bittere Flüssigkeit ins Maul kippen. Der Tierarzt war das gefährlichste Wesen, das sie kannten. Jetzt stand er mit hängenden Armen am Waldrand und starrte hinter Cloud her. Starrte lange und gründlich.
    Rebecca fluchte. Sie schob sich ihre rote Wollmütze aus der Stirn und sah die Schafe böse an. »Ihr bleibt hier!«, fauchte sie.
    Als ob die Schafe eine Wahl gehabt hätten! Rebecca hatte sie alle in den Pferch gesperrt. Der Pferch war nichts anderes als ein schmales und eigentlich sehr beliebtes Weidestück - das Weidestück mit dem Futtertrog. Doch manchmal klappte Rebecca ein Tor zu, und dann saßen sie in der Falle, dicht gedrängt, Schulter an Schulter, direkt unten am Hofzaun, wo die meisten Menschen vorbeikamen. Warum Rebecca immer wieder mit dem Tierarzt gemeinsame Sache machte, war den Schafen ein Rätsel.
    Jetzt rannte die Schäferin den Hang hinauf, ungleich eleganter als der Tierarzt, wenn auch nicht ganz so elegant wie Cloud. Der Tierarzt sagte etwas und breitete die Arme aus, wie um Rebecca abzufangen. Rebecca schüttelte den Kopf. Der Tierarzt griff nach ihrem Handgelenk, aber Rebecca riss sich los und verschwand im Wald. Der Tierarzt blickte säuerlich zu den Schafen hinunter.
    Die Schafe taten unauffällig.
    Der Tierarzt tat auch unauffällig, blickte auf seine Füße, auf seine Hände, in die Luft und wieder zu den Schafen. Überall hin. Nur nicht zum Wald.
    Dann geschah etwas Seltsames.
    Rebecca trat wieder zwischen den Bäumen hervor und wich langsam vom Waldrand zurück, rückwärts, eine Hand vor sich ausgestreckt, als wolle sie etwas aufhalten - ein vorwitziges Schaf vielleicht oder - wie so oft auf ihren Reisen - ein Auto oder einen erbosten Bauern mit einem abgefressenen Stängel Lauch in der Hand.
    Die Schäferin warf schnelle Blicke nach links und rechts, als ob da etwas wäre.
    Als ob da etwas käme.
    Aber nichts kam aus dem Wald.
     
    Wenig später wimmelte es auf ihrer Weide von Menschen. Sie waren mit drei Autos auf den Hof gebraust und von dort aus ausgeschwärmt: zwei durch das Hoftor zu den Ställen und Häusern und Scheunen, wo die Menschen wohnten, zwei außen um Hofgebäude und Schlossmauer herum, wo niemand wohnte, und die meisten direkt auf die Weide, wo die Schafe wohnten. Sie gingen den Zaun ab, durchsuchten den Heuschuppen oben am Hang, verschwanden im Wald, tauchten wieder auf, schleppten Dinge zum Waldrand und vom Waldrand weg, sprachen mit Rebecca, schritten in systematischem Zick-Zack über die Weide, traten den Schnee matschig und das magere Wintergras noch platter, als es ohnehin schon war.
    Die Schafe waren beeindruckt. Eine so gründliche Suche nach Cloud hatten sie nicht erwartet. Das passierte also, wenn es Rebecca »zu bunt« wurde: Sie rief Menschen mit Mützen zu Hilfe - und Hunde. Zwei dunkle Schäferhunde mit dunklen Stimmen schnüffelten über die Weide.
    Die Schafe schauderten, zu eingeschüchtert und zu eingepfercht für eine richtige Panik. Das Unheimlichste an den Schäferhunden war, dass sie sich nicht für die Schafe interessierten. Kein bisschen, nicht einmal für das Fremdlingsschaf, das natürlich wieder einmal nicht wie der Rest der Herde zum Futtertrog getrabt war und jetzt beneidenswert frei unter der alten Eiche stand, murmelnd und witternd, und sich für die ganze Aufregung gar nicht zu interessieren schien.
    Die Schafe wollten weg. Sie versuchten es zuerst mit Protestblöken - ein bewährtes Rezept gegen die Übel der Welt. Wenn man nur lang genug blökte, passierte etwas, meistens das Richtige. Doch Rebecca, die sonst dafür sorgte, dass das Richtige passierte, machte nur große, erschrockene Augen und ließ die Arme hängen.
    Die Schafe blökten und blökten. Irgendwann hörten sie mit dem Blöken wieder auf und schwiegen drohend. Aber auch das interessierte niemanden.
    »Es reicht«, sagte Maude nach einer Weile fruchtlosen Schweigens. »Wir hauen ab!«
    Der Plan gefiel den Schafen. Rebecca würde schon sehen, wie albern eine Schäferin ohne Schaf aussah!
    »Aber wie?«, fragte Lane.
    »Mopple soll wieder tot spielen!«, blökte Heide. Heide mochte es, wenn Dinge passierten.
    »Warum immer ich?«, murmelte Mopple, aber sie hatten ihm schon oft erklärt, warum: Mopple war das größte und dickste Schaf der Herde. Unübersehbar und eindrucksvoll, wenn er am Boden lag und alle Viere von sich streckte.
    Es hatte auch schon ein paar Mal geklappt. Das erste Mal, als die Apfel im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher