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Garou

Garou

Titel: Garou
Autoren: Leonie Swann
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Obstgarten nebenan reif waren, und dann noch einmal während der Heuernte. Mopple lag leblos am Boden, und Rebecca eilte erschrocken zu ihnen auf die Weide. Und vor Schreck machte sie das Weidetor nicht wieder richtig hinter sich zu. Beim dritten Mal war Rebecca misstrauisch geworden und hatte den Tierarzt gerufen, extra für Mopple. Trotzdem: das Totspielen war eine bewährte Methode, um auf die andere Seite von Zäunen zu kommen.
    Mopple sackte seufzend in den Schnee, zappelte mit den Beinen und starb. Die anderen Schafe machten um ihn herum ein bisschen Platz, damit man ihn gut sehen konnte, blökten dramatisch und schielten aus den Augenwinkeln zu Rebecca hinüber. Doch Rebecca saß auf den Schäferwagenstufen, in eine Decke gewickelt, und sprach mit einem der Mützenmänner. Mama tauchte hinter ihr auf und drückte ihr eine dampfende Tasse Tee in die Hand. Es war das erste Mal, dass die Schafe sahen, dass sie etwas Nützliches tat. Daran konnte man sehen, wie ernst die Lage war.
    Mopple strampelte theatralisch mit den Beinen.
    »Und?«, ächzte er von unten.
    »Nichts«, sagte Cordelia. »Gar nichts«, blökte Ramses.
    »Sie hört nichts!«, sagte Sir Ritchfield kopfschüttelnd. »Sie guckt nicht«, sagte Zora.
    »Vielleicht sind wir schon verschwunden«, flüsterte Cordelia. »Vorhin, als der Tierarzt zu uns in den Pferch gekommen ist, wollten wir alle verschwinden. Vielleicht ist es jetzt passiert!«
    »Ich wollte nicht verschwinden!«, murmelte Heide. »Ich wollte, dass der Tierarzt verschwindet.«
    Der Tierarzt war verschwunden, blass und verstohlen, gleich nachdem Rebecca den Hang heruntergestolpert war und sich im Schäferwagen aufgeregt mit Mama und ihrem Sprechgerät unterhalten hatte.
    »Vielleicht suchen sie uns«, sagte Lane. »Uns alle!«
     
    Nach und nach schienen sich die Fremden etwas zu beruhigen. Sie ließen von Weide und Wald ab und versammelten sich vor dem Schäferwagen. Drei Männer und zwei Hunde fuhren mit einem Auto davon. Der Rest stand herum und trank ohne Begeisterung den Tee, den Mama im Schäferwagen gebraut hatte.
    Einer übergab sich. Das Weidetor stand offen. Jetzt, wo es ein wenig stiller geworden war, konnte man Tess im Inneren des Schäferwagens bellen hören.
    Nun wagten sich auch die üblichen Menschen auf den Hof, neugierig und unheilvoll wie junge Krähen. Man sah sie kaum kommen, aber jedes Mal, wenn die Schafe durch den Zaun auf den Hof blickten, waren es ein paar mehr geworden: Zuerst die dicke Madame Fronsac, die immer Essen in den Taschen hatte. Die Madame war eine potentielle Futterquelle, und die Schafe sahen sie erwartungsvoll an. Doch die Dicke schien nicht in Fütterlaune. Sie stand nur da, als hätte sie sich an etwas verschluckt, und wrang ihre großen roten Hände. Monsieur Fronsac neben ihr tat, was er immer tat: er guckte. Vielleicht guckte er heute ein bisschen trauriger.
    Yves trat durch das Hoftor, eine Axt über der Schulter. Die Schafe rümpften die Nasen. Yves war geruchlich kein Vergnügen, er trieb sich mit seiner Axt zu häufig in Weidenähe herum, und er grinste immer, wenn er Rebecca sah. Grinste, wie Hunde manchmal grinsen, mit den Zähnen, aber nicht mit den Augen. Rebecca hatte ihnen einmal erklärt, dass er ein »Mädchen für alles« war, aber selbst das jüngste Lamm konnte sehen, dass er kein Mädchen war. Kein bisschen.
    Der Ziegenhirt schlurfte die Hofmauer entlang.
    Der Gärtner kam aus dem Obstgarten, die blonde Hortense und ihr Veilchengeruch wehten aus dem Schloss. Schließlich erschienen auch noch einige der selteneren Kreaturen, die die Schafe sonst nur flüchtig hinter hochgeschlagenen Kragen zu sehen bekamen. Schlosskreaturen. Die Frau mit den streng gespannten Haaren, die die Schafe eingeladen hatte. Die Kinder. Die Kinder wurden sofort weggeschickt.
    Der Rest hielt sich von den Mützenmännern fern und quakte gedämpft in der unverständlichen Sprache der Europäer. Alle bis auf den Ziegenhirten. Er hielt nur seinen Wanderstock umklammert, mit Händen, die trotz der Kälte weiß waren, weiß wie Schnee. Die Schafe interessierten sich für den Ziegenhirten - nicht persönlich, aber sozusagen von Berufs wegen. Er tauchte mit schöner Regelmäßigkeit mit einem Futtersack am Ziegenzaun auf, und sie hatten versucht, sich trotz seines strengen Ziegengeruchs mit ihm anzufreunden. Vergebens. Verrückter als seine Ziegen, vermuteten die Schafe.
    Rebecca saß noch immer auf den Schäferwagenstufen und blätterte wild in ihrem gelben
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