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Garou

Garou

Titel: Garou
Autoren: Leonie Swann
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Karte die Schuld. Rebecca hatte eine bunte Landkarte mitgeführt, auf die sie auf ihren Wanderungen oft und ausdauernd starrte, und diese Karte verstand ganz offensichtlich nichts von Europa.
    Drei Schafe hatten Rebecca in einem Sonnenblumenfeld abgelenkt, während Mopple the Whale die Landkarte von den Stufen des Schäferwagens geschnappt und ganz aufgefressen hatte, sogar den harten, glänzenden Kartonteil. Und wirklich: ein paar Tage später war eine schmeichelnde Frau mit streng über den Kopf gespannten Haaren vor dem Schäferwagen aufgetaucht und hatte die Schafe eingeladen. Bald darauf war es mit dem aufreibenden Wanderleben vorbei, und sie hatten wieder eine Weide, einen Heuschuppen, eine Futterkammer und diesmal sogar einen Schrank. Trotzdem - ihre Weide war es nicht.
    »Sag mir noch einmal, warum wir hier sind«, seufzte Mama, die noch immer wie eine Schnecke in der Tür klebte und sich eine zweite Zigarette angezündet hatte. Tess hatte es geschafft, sich an ihr vorbeizuquetschen, und begrüßte Rebecca schwanzwedelnd auf den Schäferwagenstufen. Rebecca ging in die Hocke und kraulte Tess hinter den Ohren. Tess versuchte, ihre angegraute Schnauze in Rebeccas Achselhöhle zu stecken.
    »Ich bin hier, weil die Schafe ein Winterquartier brauchen«, sagte Rebecca. Sie hatte es schon hundert Mal erklärt, erst den Schafen, dann Mama, manchmal auch sich selbst. »Die Weide ist gut, die Miete ist billig. Die Landschaft ist idyllisch. Man hat mich eingeladen. Warum du hier bist, weiß ich nicht.«
    Die Schafe wussten, warum Mama da war: zum Schmarotzen. Rebecca hatte es ihnen einmal im Vertrauen beim Heufüttern verraten. »Sie tut fein, aber eigentlich ist sie pleite. Wie auch nicht, bei dem Job? Und dann panscht sie ein bisschen Sahnelikör zusammen und setzt sich wochenlang fest. Nur über die Feiertage? Pah! Ihr werdet schon sehen. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie wieder loswerde.«
    Nicht durch das Schäferwagenfenster, so viel war klar. Mama blies Rauch auf Rebecca und Tess herab und blickte kritisch hinunter zum Schloss.
    »Wir sollten hier weg. Sieh dich doch einmal um, Kind! Gottverlassen - und diese ganzen Irren.«
    »Hortense ist in Ordnung«, sagte Rebecca.
    »Kein Stil«, sagte Mama verächtlich. »Ich dachte, Französinnen hätten Stil. Was ist mit dem Ziegenhirten da drüben? Der läuft den ganzen Tag durch den Wald, und wenn er hier vorbeikommt, sagt er kein Wort. Ist das etwa normal? Ist dir aufgefallen, wie sich die anderen von ihm fernhalten? Irgendeinen Grund muss das doch haben.«
    »Von uns halten sie sich auch fern«, sagte Rebecca.
    Tess hatte sich auf den Rücken gerollt und bekam von Rebecca das Bauchfell gekrault.
    »Auch das hat einen Grund«, sagte Mama. »Du verstehst nichts von Leuten, Reba. Genau wie dein Vater. Du hast dich nie für Menschen interessiert. Ich schon. Ich habe den Sinn. Ich sehe. Idyllisch? Die Karten sagen etwas anderes!«
    Die Schafe sahen sich bedeutungsvoll an. Karten sagten oft etwas anderes. Wie die Landkarte, bis Mopple sie gefressen hatte. Alle ihre Probleme hatten mit der Landkarte angefangen.
    »Weißt du, welche Karte seit zwei Wochen in jeder meiner Seancen auftaucht?«
    Rebecca seufzte, richtete sich wieder auf und streckte sich wie eine Katze.
    »Der Teufel!«, blökten die Schafe im Chor. Es war immer das Gleiche.
    »Der Teufel!«, schmetterte Mama triumphierend von den Schäferwagenstufen.
    Rebecca lachte. »Das kommt daher, dass du drei Teufel in deinem Deck hast, Mama. Und die Gerechtigkeit und die Mäßigung hast du aussortiert!«
    Tess streckte sich nach Hundsart und schlüpfte an Mamas Pantoffeln vorbei zurück ins Innere des Schäferwagens.
    »Na und? Man muss die Karten eben ein bisschen den heutigen Verhältnissen anpassen, das ist alles. Seit die Mäßigung raus ist, habe ich eine Erfolgsquote von 75 Prozent! Weißt du, was die anderen...«
    Rebecca wedelte mit der Hand hin und her, als würde sie unsichtbare - und sehr kälteunempfmdiche - Fliegen verscheuchen, und Mama seufzte.
    »Nun mal ehrlich, Kind, fühlst du dich hier wohl? Frag doch morgen mal den Tie ...«
    Schneller als ein Wiesel war Rebecca die Schäferwagenstufen hinaufgesprintet und presste Mama eine Hand auf den Mund.
    »Bist du verrückt?«, zischte sie. »Weißt du, was hier los ist, wenn du das Wort sagst?«
    »Der Teufel!«, blökten die Schafe.
    Wenn hier etwas los war, dann war es meistens der Teufel.
     
    Diesen Abend standen die Schafe länger als üblich vor dem
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