Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Garou

Garou

Titel: Garou
Autoren: Leonie Swann
Vom Netzwerk:
Buch. Das gelbe Buch verwandelte die Quaklaute der Europäer in Sinn, aber heute schien es keine besonders guten Dienste zu leisten.
    »Pourquoi?«, quäkte Rebecca. »Quand?
Qui?
«
    Hortense ging durch das Weidetor zu ihr hinüber und hüllte die Schäferin in eine Wolke aus albernem Blumenduft, aber eine Antwort wusste sie auch nicht. Dann löste sich auch die dicke Fronsac von den anderen Schlossmenschen und walzte mit einiger Mühe den Hang hinauf bis zum Schäferwagen. Mama nannte sie »das Walross«, und nur Othello, der die Welt und den Zoo kannte, wusste warum. Das Walross quakte etwas, leise und aufgeregt, und Rebecca verstand es nicht.
    »Sie sagt, du sollst deine Schafe nehmen und weg von hier!«, erklärte Hortense. »An deiner Stelle würde sie sofort weg.«
    »Sag ich doch! Sag ich doch! Sag ich die ganze Zeit!«, dröhnte Mama aus dem Schäferwagen.
    Rebecca schwieg, und Hortense zuckte verlegen mit den Schultern.
    Und dann, fast unmerklich, veränderte sich etwas zwischen den Menschen. Sie wurden stiller, aber nicht ruhiger. Die Schlossmenschen rückten fast unmerklich etwas weiter vom Weidezaun ab, Rebecca schob sich abwesend eine Locke zurück hinters Ohr, Mama postierte sich auf den Schäferwagenstufen und flatterte mit den Wimpern. Tess bellte noch lauter. Alles, weil auf dem Hof ein weiteres Auto vorgefahren war, größer und schwärzer als alle anderen.
    Der Häher stieg aus. Der Häher war so etwas wie der Leitwidder der Schlossmenschen, und er sah nicht wirklich wie ein Eichelhäher aus, nicht so bunt und klein, und natürlich hatte er auch keinen Schnabel. Doch etwas an der Art, wie er sich bewegte, scharf und schnell und präzise, erinnerte die Schafe an den jungen Häher, der vor einiger Zeit auf ihrer Weide gesessen hatte.
    Der Häher auf ihrer Weide hatte einen hängenden Flügel gehabt.
    Der Häher aus dem Schloss hinkte. Nicht viel, und die meisten Menschen bemerkten es wahrscheinlich kaum, aber die Schafe wussten es, und der Häher selbst wusste es auch.
    Einer der Mützenmänner ging auf ihn zu und sagte etwas. Der Häher nickte, dann ging er weiter, hinauf zum Schäferwagen, und legte dem Walross sanft die Hand auf den Arm. Auf einmal liefen dem Walross Tränen über die Wangen, und es wurde von Hortense und Monsieur Fronsac weggeführt.
    Der Häher trat an den Pferch und sah finster auf die Schafe herab. Die Schafe blickten unbehaglich zurück. Bisher hatten sie ihn nie besonders ernst genommen, weil er hinkte und vermutlich zu langsam war, um ihnen gefährlich zu werden, aber jetzt standen sie eingepfercht. Das große schmale Gesicht des Hähers schwebte dicht über ihnen, und es gab kein Entkommen vor seinen Augen. Zwei Hände schoben sich beiläufig über die oberste Latte des Zauns, schwarz von Handschuhen und selbst in den Handschuhen lang und schmal wie Vogelkrallen. Die Schafe fürchteten, eine dieser beweglichen langen Hände könne sich nach ihrer Wolle ausstrecken, eine Hand, der sie hier in der Enge nicht ausweichen konnten. Was dann?
    Doch die Hand kam nicht, nur die Hähersaugen sahen sie weiter an, mit kaltem, bohrendem Interesse und so etwas wie Ärger - als wären die Schafe an irgendetwas schuld. Ab und zu flatterte sein Blick zu Rebecca hinüber, und was dann mit den Augen passierte, gefiel den Schafen noch weniger. Sie wurden tief und schmal, dunkel und glänzend wie Brunnen.
    »Attacke!«, meckerte jemand unter ihnen.
    »Futter!«, blökte Mopple the Whale, der sich unter den pickenden Blicken des Hähers wieder aufgerappelt hatte.
    Bald blökten alle Schafe nach Futter. Für Futter musste Rebecca das Tor aufmachen. Futter war jetzt die richtige Strategie. Futter war meistens die richtige Strategie.
    Doch Rebecca rührte sich noch immer nicht.
    »Tja«, sagte jemand. »Wir sitzen in der Falle, was?«
    Sie saßen in der Falle! Mopple und Maude blökten alarmiert. Ritchfield hustete, und Ramses setzte sich vor Schreck aufs Hinterteil.
    »Es ist nicht wirklich eine Falle«, sagte Zora beschwichtigend. »Es ist nur ein Pferch. Rebecca hat uns hier hereingelockt. Sie wird uns wieder herauslassen. Sie muss. Es steht im Testament.«
    Im Testament stand eine ganze Menge wichtiger Dinge. Dass Rebecca sie füttern und ihnen vorlesen musste. Dass kein Schaf verkauft werden durfte oder »geschlachtet« - was auch immer das genau bedeutete. Auch der Tierarzt stand im Testament. Leider. Auf den Tierarzt hätten die Schafe verzichten können.
    »Das ist kein Schaf!«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher