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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Autoren: Dennis Gastmann
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trickreiche Jäger, das sei die Idee dabei gewesen. Eigentlich gehe es darum, das Wissen der Indianer zu vermitteln: Welche Pflanzen sind essbar? Wie lese ich eine Fährte? Wie lebe ich im Einklang mit der Natur? Der Kurs richte sich vor allem an Pädagogen – Biolehrer und Waldkindergärtner –, aber auch Anwälte, Ärzte und Journalisten wie ich sollten ab und zu vorbeischauen. «Die Sinne verkümmern nun mal in der Großstadt», sagt Myriam, «hat nicht jeder Zweite mittlerweile ADHS?» Das könnte stimmen. Tatsächlich soll ich angeblich auch unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung leiden, bei mir führt sie offenbar zu einer Art Hyperneugier. Ich muss ein unglaublich anstrengendes Kind gewesen sein, jeden Tag habe ich mein Umfeld mit achtzigtausend Fragen bombardiert. Was ist das da? Wie funktioniert dies? Und warum? Meine Mutter nannte mich immer den «Trichter». Bis heute ist es so, als würde mein Gehirn die ganze Welt in sich aufsaugen. Leider nur banale Dinge: Werbejingles, Schlagertexte, Quizfragen. Ich habe Shakespeares Hamlet nie gelesen, weiß aber, dass er bereits auf Klingonisch übersetzt wurde.
    Myriam hat drei Kinder und führte mit ihrem Exmann lange Zeit ein Hippieleben, sie waren monatelang auf Reisen. Doch drei Tage in der Wildnisschule änderten alles. Noch nie habe sie eine so intensive Erfahrung gemacht, schwärmt sie, der Wildeshauser Wald stecke voller Energie. Ihre Kollegin Judith, eine freundliche blonde Frau mit roten Bäckchen, hat Biologie in Mainz studiert und dann gemerkt, dass man damit keinen Job findet. Dreizehn Jahre lebte sie in einem Zirkuswagen, dann zog es sie der Liebe wegen nach Niedersachsen. Heute nennt sie sich «Wildnispädagogin» und «Visionssucheleiterin».
    Wer ist noch dabei? Zum Beispiel Floyd, zweiundvierzig, aus Brighton. Der skurrile, kahlköpfige Schlaks ist gelernter Tischler und versucht sich jetzt als Waldorflehrer in Stuttgart. Christine, dreiunddreißig, hat über die sizilianische Sumpfschildkröte promoviert und sich vor kurzem mit ihrer Bremer Agentur «Raus ins Grüne!» selbständig gemacht. Sie möchte Erlebnistage für Manager anbieten und die gestressten Seelen der Burn-out-Kandidaten zurück auf den grünen Teppich bringen. Und dann ist da noch Nele, ein neunzehnjähriges Mädchen mit dunklen Rastalocken, die sich auf eine Weltreise vorbereitet. Mit ihrer Freundin Marie will sie einmal um den Globus trampen. Nicht nur die Art der Fortbewegung, auch die Route ist etwas gewagt. Erst soll es in die Slowakei zu einem Festival gehen, dann nach Pakistan und Thailand. «Pakistan?», frage ich. «Ja, da soll es für Frauen sicherer sein als in Indien. Meine Mutter darf das alles gar nicht wissen.» Nele sagt, sie wolle einfach frei und ohne Verpflichtungen leben. Die Reise sei das Ziel. «Wenn eine von uns in einem Land bleiben möchte, dann ist das eben so. Vielleicht heirate ich einen Pakistani?»
    Meine vertrauensbildenden Maßnahmen fruchten. Die Gruppe nimmt mich auf, wir ziehen unsere Waldklamotten an, und ich folge den anderen auf eine Lichtung. Im Wintergarten habe ich einen Apfel gegessen, nun werfe ich die Reste etwas arglos in die Landschaft. «Das sehen wir aber gar nicht gerne!», ruft Myriam. «Es ist nur ein Apfel!», antworte ich und möchte «Frau Richterin» beifügen, denn irgendwie sitze ich mental schon wieder vor dem Wildeshauser Amtsgericht. Myriam ist milde und bittet mich, das Gehäuse zu vergraben, es locke sonst die Tiere an. Ich solle auch mein Handy ausschalten, meint eine Teilnehmerin. Eine Minute Strahlung zerstöre eine Million roter Blutkörperchen, das sei erwiesen.
    Wir sind etwa zwanzig Leute, und zum Warmwerden spielen wir Fangen oder, genau genommen, «Versteinern». Floyd ist der Fänger, und alle, die er abklatscht, dürfen sich nicht mehr bewegen. Wenn alle versteinert sind, hat Floyd gewonnen. Allerdings kann man die Gefangenen leicht befreien, man muss nur zwischen ihren Beinen hindurchklettern. Diese etwas erotische Komponente macht das Spiel für Erwachsene offenbar besonders attraktiv, denn es will einfach nicht enden. Kreischend wie kleine Mädchen rennen wir uns gegenseitig über den Haufen, bald liegen mehrere Mitspieler übereinander auf dem Waldboden. Es klingt albern, und das ist es auch. Aber es macht wirklich Spaß. Myriam muss das Spiel abbrechen und teilt uns in «feuchte Tiere» und «trockene Tiere» ein. Ich bin ab sofort ein Lurch.
    Es folgt das «Child Passion Play». Der Name gefällt
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