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Galgeninsel

Galgeninsel

Titel: Galgeninsel
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Konkurrenten an diesen Ort geraten war. Unverbaubarer See- und Bergblick. Es war eine Goldgrube. Eine Goldgrube, dachte er, und sah sich dem Schicksal wieder einmal entkommen.
    Aus dem Haus hörte er nun Klappern. Sein Blick suchte den Alten, der immer noch gebückt über seinen Gurkenpflanzen stand, oder was zum Teufel das auch immer sein mochte. Kandras atmete aus, entspannte seine Gesichtsmuskeln mit einigen Übungen die ihm sein Coach beigebracht hatte, setzte eine vertrauenswürdige Mimik auf und rief ein freundliches »Hallo!« in Richtung des Alten. Er wusste um die Wirkung seiner Stimme, ließ sie sanft und dunkel dröhnen, bis er das Vibrieren am Halsansatz spüren konnte. Tiefe Stimmen erwecken Vertrauen.
     
    Später saßen sie in der kühlen Küche. Ein breiter Sonnenstrahl fiel schräg durchs Fenster und hob die Spülecke hervor. Der Tisch und die Eckbank blieben im Schatten. Er bemerkte die Schlichtheit. Alles war alt und benutzt. Er kannte einfaches Leben aus seiner Kindheit. Doch die Einfachheit, die er kennengelernt hatte, bestand in einer abstoßenden Kargheit, die der heimeligen Bescheidenheit, die diesem Raum eigen war, weit entfernt lag. An den Wänden hingen Bilder und Fotografien und aus einem verstaubten Radio dröhnte Geklimper. Er schüttelte sich innerlich. Die Frau des Alten hatte ihm ein Glas mit Apfelsaft hingestellt. »Selbst gemacht«, wie sie betonte. Er hatte ihr Lächeln erwidert und daran gedacht, wie sehr er Selbstgemachtes verabscheute. Die beiden erschienen ihm gar nicht so alt wie er gehofft hatte und sie strahlten eine zähe Gesundheit aus. Was auch an ihren flüssigen Bewegungen zu sehen war. Wie sie den mit Apfelsaft gefüllten Krug mit freier Hand von der Anrichte auf den Tisch stellte, in einer zügigen eleganten und kraftvollen Bewegung, und wie der Alte zuvor mit der Hacke in der Hand auf ihn zugelaufen war.
    Plan A konnte er also vergessen. Es konnte noch eine Ewigkeit dauern, bis die beiden das Zeitliche segneten. Und auch Plan B war nicht umsetzbar. Die würden nicht für alles Geld der Welt ihre armselige Bude verlassen. Diese Kate ohne jeden Luxus. Niemals. Es musste ein Plan C her, und jetzt erst einmal ein guter Eindruck. Er saß an der langen Seite der Eckbank, im Winkel zu ihm der Alte, beide Unterarme auf den Tisch gelegt.
    Kandras schlug das in schwarzes Leder gebundene Notizbuch auf und legte es vorsichtig auf den groben Holztisch. Einen Augenblick lang hatte er gezögert, aus Angst er könnte es beschmutzen. Wie er überhaupt Angst vor Schmutz hatte. Er blätterte zum Tageskalendarium und überlegte: Was war heute noch mal für ein Tag? Mittwoch, natürlich, Mittwoch. Er nahm das an einem geflochtenen Band hängende Muschelmedaillon in die Hand. Wer immer es gefertigt hatte musste über eine beachtliche Kunstfertigkeit verfügen. Das Bild, welches sich einmal darin befand, hatte er herausgerissen, sobald er das Schmuckstück als ihm gehörend betrachtete. Die Geschichte dazu verbarg er in einer düsteren und verschlossenen Kammer seines Gedächtnisses.
     
    Er streckte die Beine. Die neuen Schuhe fand er nicht nur hässlich. Sie drückten auch noch. Der Alten schien sein Aufzug zu gefallen. Sein Blick glitt über die Wände. Wieso mussten die Leute nur die Wände behängen, dachte er, als seine Augen unvermittelt unter der Uhr haften blieben. Unter seinem Rippenbogen spürte er einen feinen Stich und gleich daraufhin eine erschreckende Leichtigkeit, so als würde er schweben. Ein Schwindel, und nicht die Folge einer emphatischen Gefühlsregung. Dann brach ihm Schweiß aus, der Atem ging schwerer und seine Augen blieben an der Fotografie kleben. Sie zeigte das Bild eines Mädchens, jung und schön. Seine Hand krampfte um das Medaillon und er stand auf. Der Alte hielt ihm ein Tuch hin und sagte etwas, doch Kandras verstand ihn nicht. Kurzatmig murmelte er einen Abschiedsgruß und stolperte mehr als dass er ging zur Tür; eilte den Weg zurück zum Auto und ließ zwei verwunderte bis verstörte Alte in der Küche zurück. Im Auto kam er langsam wieder zu sich, es war wie ein Aufwachen. Nur, dass der böse Traum jetzt von neuem seinen Anfang nahm. Er spürte Schmerzen in seiner Hand und öffnete sie. Die Muschelschalen waren zerbrochen und die Perlmuttscherben hatten sich in seine Handfläche gebohrt. Er starrte in die Handfläche und sah zu, wie sich der Lebenslinie genannte Hautfaden mit Blut füllte.
    Kein gutes Omen.

Ein Vermisster
    Die Tage am See vergingen
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