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Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Titel: Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)
Autoren: Gitta Becker
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helfen, das zu verhindern, was ihn heilen sollte. Ich tat nichts, um ihn zu befreien. Tat nichts, um das Festgehaltenwerden zu beenden, den Schmerz, den er beim Legen des Zugangs für die Infusion aushalten musste. Dann war er so erschöpft, dass er einschlief. Wir gingen nun endgültig. Ohne unser Kind. Wir standen da wie vom Donner gerührt, wussten nicht, wie uns geschah.
    Damals, 1980, war es noch nicht üblich, dass Mütter bei ihren Kindern in der Klinik bleiben. Ich hatte nicht die nötige Reife, um darauf zu bestehen bei ihm zu bleiben, ich wusste noch nicht einmal, dass es möglich gewesen wäre. Woher auch?
    Ich kam mit meinem Kind an und fuhr mit leeren Händen nach Hause, in Hausschuhen, ohne Mantel, ohne Jacke. Meinem Mann ging es nicht anders. Ich habe das, was ich an diesem Tag zu diesem festlichen Anlass getragen habe, nie wieder angezogen.
    Wir kamen ohne unseren Andreas zu Hause an, Weihnachten war vorbei.

ERSTE ANZEICHEN
    Die ganze Familie war geschockt, wie erstarrt. Ich war nicht bei meinem Kind geblieben, ließ mich einfach nach Hause schicken. Ich „durfte“ aber selbstverständlich jederzeit anrufen und Andreas täglich besuchen.
    Jeder Gang ins Krankenhaus war grauenvoll, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde.
    Jedes Mal wenn ich das Krankenhaus wieder verlassen musste, fühlte ich mich beschissen.
    Jedes Mal wenn ich auf der Station anrief, egal ob morgens, mittags oder abends, hörte ich meinen Andreas weinen und wurde von den Schwestern belogen, mein Baby würde schlafen.
    Jede Mutter kann das Weinen und das Lachen ihres Kindes aus hunderten, ach was, aus dem Lachen und Weinen aller Kinder dieser Erde heraushören.
    Andreas und ich haben für diese Trennung bitter büßen müssen. Ich habe mir danach geschworen, ihn nie wieder alleine in einem Krankenhaus zu lassen, so lange er es nicht verstehen würde. Nie wieder wollte ich angelogen werden, nie wieder wollte ich meinen Sohn im Hintergrund weinen hören und dabei kalt lächelnd angelogen werden.
    16 Tage lang musste Andreas in der Klinik bleiben. 16 Tage lang waren wir getrennt voneinander. Jedes Mal freute er sich so sehr, wenn wir da waren und jedes Mal weinte er so sehr, wenn wir wieder gehen mussten. Also haben wir mit dem Gehen gewartet bis er eingeschlafen war. Das war ein weiterer Fehler.
    Ungefähr eine Woche nach seiner Einlieferung bekam er in der Nacht einen weiteren Anfall. Die Ärzte sprachen plötzlich nicht mehr von einem einmaligen Fieberkrampf. Auf einmal hieß es, sie müssten ihn auf ein Medikament einstellen, um weitere Krämpfe zu verhindern. Das EEG war unauffällig. Bevor er eingestellt werden konnte, kam der Magen-Darm-Infekt zurück und Andreas bekam abermals Infusionen.
    Kurz nachdem wir ihn nach Hause geholt hatten, brachen die Windpocken bei ihm aus. Die 16 Tage hatten ihn geprägt. Vorbei die Zeit eines glücklichen, pflegeleichten Babys.
    Andreas hatte massive Angst, allein in seinem Bett einzuschlafen und es dauerte ein ganzes Jahr, bis er diese Angst überwunden hatte, bis er mir wieder vertraute, dass ich da sein würde, wenn er aufwachte. Während des ersten halben Jahres nach seinem Krankenhausaufenthalt schlief er nur auf meinem Arm ein. Wenn ich ihn in sein Bettchen legen wollte, er aber noch nicht tief genug schlief, wachte er wieder auf und das Procedere begann von vorne. Nachts wurde er anfangs oft wach und weinte jämmerlich. Zuerst versuchte ich, ihn in seinem Bettchen wieder zum Einschlafen zu bringen. Irgendwann wurde mir das zu dumm und ich holte ihn in unser Bett.
    Das Medikament, das weitere Anfälle vermeiden sollte, steckte mein Sohn weg, als wäre es Hustensaft. Es hatte allerdings eine Nebenwirkung, die wir erst später entdeckten. Auch hatte das Medikament den schwerwiegenden Nachteil, dass es schlichtweg nicht half. Mein Sohn krampfte. Immer und immer wieder.
    Wir waren längst zurück in Erlangen, Andreas’ Papa war schon wieder unterwegs und der Alltag hatte uns wieder. Aber die Anfälle wurden mehr und es war klar, dass es sich längst nicht mehr um Fieberkrämpfe handelte.
    Ich habe jeden Anfall gehasst, habe fast jeden kommen sehen. In der ersten Zeit versuchte ich alles, um die Krämpfe, die ich kommen sah, zu verhindern. Das war absolut blödsinnig und ich musste lernen, dass die Anfälle so oder so kamen. Ob eine Stunde früher oder später, das war egal.

EIN GEMURMELTES „EPILEPSIE“
    Schon im Krankenhaus murmelte der Arzt beim abschließenden Gespräch etwas
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