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Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Titel: Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)
Autoren: Gitta Becker
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in Erlangen sollst du anrufen. Dringend!“
    Kurze Zeit später legte mein Mann den Hörer auf, machte ein Luftsprung und jubelte: „Ich muss nicht weg, die Ausreise in den Iran wurde untersagt! Aber ich muss morgen trotzdem nach Erlangen ins Büro fahren.“
    Wir freuten uns wie kleine Kinder und eigentlich hätte Andreas sein Domizil nun freiwillig aufgeben müssen, so sehr wurde er in meinem Bauch hin- und hergeschüttelt. Aber er ließ sich auch von meinem unbeholfenen Gehopse nicht stören. Davon nicht und von so vielem anderen auch nicht.
    Zwei Tage später ging ich ins Krankenhaus, wo am darauf folgenden Tag die Geburt eingeleitet werden sollte.
    Morgens marschierte ich mit wehenden Fahnen und einem Buch unter dem Arm in den Kreissaal, wohl vorbereitet durch den Schwangerschaftskurs. Die Hebamme, eine Ordensschwester, war über mein Buch unter dem Arm verwundert, ich glaube sogar fast ein wenig verärgert.
    „Sie werden wohl kaum zum Lesen kommen, wenn das Wehenmittel erst einmal wirkt!“, sagte sie, was in meinen Ohren ein wenig hämisch klang.
    „Das werden wir sehen“, gab ich in gleichem Ton zurück.
    Somit war der Grundstein für eine wundervolle Zusammenarbeit gelegt. Ich habe tatsächlich gelesen und tat dies noch, als mein Mann gegen Mittag aus Erlangen zurückkam. Ich hätte es wahrscheinlich auch getan, wenn ich die schlimmsten Wehen gehabt hätte, aus purer Rechthaberei, doch trotz des Wehenmittels tat sich nur wenig. Ab und zu eine Wehe, der Muttermund öffnete sich nur sehr langsam, egal wie hoch die Dosierung eingestellt wurde. Andreas juckten unsere Bemühungen nicht. Sein Vater beschloss, nach Hause zu fahren um etwas zu essen und anschließend wieder in die Klinik zu kommen.
    Irgendwann am Abend wurde der Versuch, Andreas auf normalem Weg zu holen, abgebrochen und ein Kaiserschnitt angesetzt. Da ich eine gute halbe Stunde vor dem Operationssaal warten musste, weil dieser besetzt war, wurde Andreas schließlich gegen halb acht Uhr geholt.
    Mein Mann und ich haben ganz unterschiedliche Sichtweisen über den weiteren Verlauf der Geburt. Ich hatte das Gefühl, alles ging irgendwie seinen normalen Gang und war sehr gelassen. Mein Mann sah die Blicke, die sich der Oberarzt und die Hebamme zuwarfen, spürte die Hektik, die ausgebrochen war.
    Zugegeben, Andreas’ Start ins Leben war nicht optimal. Die Geburtsmedizin erschien mir, damals im Jahr 1980, absolut vertrauenswürdig und optimal. Und doch, im Rückblick war sie es nicht.
    Durch den eilig angesetzten Kaiserschnitt wurde er verletzt und musste mit drei Stichen knapp neben der rechten Schläfe genäht werden. Er sollte eine kleine, kaum sichtbare Narbe zurückbehalten. Aber was spielt das für eine Rolle, wenn man sein Kind endlich in den Armen hält? Mir war es egal. Er war da: unser Andreas.
    Während ich durch die Narkose tief und fest schlief, machte er seinen ersten Schrei. Mein Sohn.
    Nach zweieinhalb Wochen durften wir nach Hause. Nun, Andreas war mein erstes Kind, ich wusste nicht, wie es ist, wenn Nächte keine Nächte mehr sind, sondern sich nur noch in Schlafeinheiten teilen. Ich war müde, hatte immer noch mit den Folgen der Geburt zu kämpfen. Mein Mann war auch müde, musste er doch zwischen Erlangen und Ludwigshafen pendeln, während ich im Krankenhaus lag. Da er seinen nächsten Auslandsaufenthalt bereits vorbereitete, blieben wir vorerst bei meinen Eltern. Er bot an, Andreas in der ersten Nacht, die wir mit unserem Sohn verbrachten, zu wickeln und ihm die Flasche zu geben. Natürlich wurde er wach, natürlich hatte er Hunger und natürlich war die Windel voll. Bis oben hin, voller ging es nicht. Andreas’ Papa ackerte schwer. Auch Andreas ackerte schwer, hatte er doch Hunger und wehrte sich daher gänzlich gegen alle Reinigungsversuche. Andreas’ Priorität lag ganz klar bei der Nahrungsaufnahme und nicht beim Windeln wechseln.
    Als meine Mutter dem Schreien ihres Enkels nachging, war das Chaos schon perfekt: Andreas’ Papa stand vorm Wickeltisch, seinen Sohn vor sich, zappelnd und schreiend, den Inhalt der Windel überall verteilt. Mein Mann hatte die Kraft des kleinen Wesens unterschätzt sowie die Tatsache, dass es nachhaltige Folgen haben kann, wenn ein männlicher Säugling pinkelt. Die Unterstützung durch die Oma kam ein wenig spät, aber sie war dennoch sehr hilfreich.
    Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Auf Andreas’ Seite, nicht auf der Seite seines Vaters. Während Andreas wieder sauber und satt in
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