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Gäbe es die Liebe nicht

Gäbe es die Liebe nicht

Titel: Gäbe es die Liebe nicht
Autoren: Nora Roberts
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gebracht hatte, sondern blieb auf dem Stuhl an Daniels Bett sitzen. Wenn er ihren Namen flüsterte, machte sie ihm Mut und sprach leise mit ihm, bis er sich wieder beruhigte.
    Neue Schwestern traten ihre Schicht an. Jemand brachte ihr Kaffee. Der Mond ging langsam unter. Sie dachte an den Mann, den sie liebte, und an alles, was sie sich zusam men aufgebaut hatten. Das nur allzu vertraute Klicken und Summen der Apparate war das einzige Geräusch im Raum, während sie wartete.
    Kurz vor Tagesanbruch beugte sie sich vor, um den Kopf neben seine Hand aufs Bett zu legen. Als Daniel erwachte, war sie das Erste, was er sah. Sie war eingeschlafen.
    Es dauerte einen Moment, bis er sich an den Unfall erinnerte. Er dachte kurz an seinen Wagen. Dann spürte er den Druck in seiner Brust und sah die Schläuche, die an seinem Arm lagen.
    Jetzt erinnerte er sich an das, was nach dem Unfall geschehen war. An Anna, wie sie sich über ihn beugte und beruhigend auf ihn einsprach, während man ihn auf einer Trage ins Krankenhaus rollte. An die Angst in ihren Augen, bevor er das Bewusstsein verlor.
    Und dann wieder an Anna. Wie sie ihn verfluchte und seine Hand küsste. Danach hatte er nur noch geträumt.
    Sie sah so erschöpft aus. Dann wurde ihm bewusst, wie schwach er selbst war. Wütend darüber versuchte er, sich aufzurichten, doch es gelang ihm nicht. Hilflos tastete er nach Annas Wange. Augenblicklich war sie wach.
    „Daniel.“ Sie schloss ihre Finger um seine. Nur ihre Willenskraft hinderte sie daran, den Kopf auf seine Brust fallen zu lassen und in Tränen auszubrechen, das ahnte er. „Daniel …“ Ihre Stimme war so ruhig und sachlich wie bei ihrer ersten Begegnung. „Erkennst du mich?“
    Es kostete ihn viel Kraft, aber er hob eine Augenbraue. „Warum sollte ich die Frau, mit der ich seit fast vierzig Jahren lebe, nicht erkennen?“
    „Warum?“ fragte sie zurück und küsste ihn sanft auf den Mund.
    „Du hättest es bequemer, wenn du dich zu mir ins Bett legen würdest.“
    „Vielleicht später“, versprach sie und zog sein Augenlid hoch, um sich die Pupille anzusehen.
    „Hör auf, an mir herumzufummeln. Ich will einen richtigen Arzt.“ Er brachte ein Lächeln zu Stande.
    Sie drückte auf den Knopf neben seinem Bett. „Siehst du mich verschwommen?“
    „Ich sehe dich deutlich genug. Du bist so schön wie bei unserem ersten Walzer.“
    „Du halluzinierst“, entgegnete sie trocken und sah auf, als eine Schwester den Raum betrat. „Bitte rufen Sie Dr. Feinstein. Mr. MacGregor ist bei Bewusstsein und verlangt nach einem richtigen Arzt.“
    „Ja, Dr. MacGregor.“
    „Ich liebe es, wenn sie dich so anreden“, murmelte er und schloss kurz die Augen. „Welchen Schaden habe ich angerichtet?“
    „Gehirnerschütterung, drei gebrochene Rippen und …“
    „Nicht bei mir“, unterbrach er sie. „Am Wagen.“
    „Du bist unverbesserlich, Daniel. Ich weiß wirklich nicht, warum ich mir Sorgen gemacht habe. Jetzt tut es mir Leid, dass ich die Kinder angerufen habe.“
    „Die Kinder … ? Du hast die Kinder angerufen?“
    Das war genau die Reaktion, die Anna erhofft hatte. Sie ließ es sich nicht anmerken. „Ja, sie sind hier. Ich werde mich bei ihnen entschuldigen.“
    „Sie sind gekommen?“
    Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, worauf er hinaus wollte. „Natürlich.“
    „Wozu? Um an meinem Totenbett zu trauern?“
    Sorgfältig deckte sie ihn zu. „Wir wollten auf alles vorbereitet sein.“
    Er zog die Stirn kraus und zeigte mit schwacher Hand zur Tür. „Na, dann hol sie herein.“
    „Ich wollte nicht, dass sie die Nacht im Krankenhaus verbringen. Sie sind zu Hause.“
    „Zu Hause? Du meinst, sie sind nicht hier geblieben? Sie haben ihren eigenen Vater auf dem Sterbebett zurückgelassen und sind auf und davon, um seinen Scotch zu trinken?“
    „Ja, ich fürchte, es sind sehr eigensinnige Kinder. Sie kommen nach dir. So, hier kommt Dr. Feinstein“, schloss sie, als ihr Kollege das Zimmer betrat. „Ich lasse euch beide allein.“
    „Anna?“
    Sie blieb in der Tür stehen und drehte sich lächelnd zu ihm um. „Ja, Daniel?“
    „Bleib nicht zu lange fort.“
    Für sie war er noch immer so, wie sie ihn vor vielen Jahren kennen gelernt hatte. Unerschütterlich, selbstsicher und stark genug, sie zu brauchen. „Habe ich das je getan?“
    Sie verließ die Intensivstation und ging direkt in ihr eigenes Büro. Sie verschloss die Tür und gönnte sich den Luxus, zwanzig Minuten lang zu weinen. Sie hatte
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