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Gabriel - Duell der Engel

Gabriel - Duell der Engel

Titel: Gabriel - Duell der Engel
Autoren: Kaja Bergmann
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Fingerabdrücke. Genauer musste man nicht suchen. Es gab wichtigere Dinge, um die man sich kümmern musste. Zum Beispiel Donuts holen oder so … Mir war das eigentlich sehr recht. Es reichte schon, wenn ich wusste, dass ich ein Mörder war. Im Gefängnis, viele Jahre ohne Sonja, wie hätte ich das aushalten sollen?
    Ich wandte den Blick von ihr ab und sah zu Udoriwitsch. Er war ebenfalls blass, sein Gesicht grau und eingefallen. Eine tiefe Falte über der Stirn, die Augen klein und dunkel in den Höhlen liegend. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ihn quälte ein schlechtes Gewissen. Doch zu so etwas war dieser Mann nicht fähig. Er, der Unfehlbare. Nein, was er machte, war Gesetz und somit automatisch richtig. Er würde nie ein schlechtes Gewissen haben, nie. Oder?
    Ich hatte nicht gehört, was der Pfarrer sagte. Bestimmt so eine Nullachtfünfzehn (merkwürdiger Ausdruck …)-Rede, die er immer aus der Schublade kramte, wenn jemand ohne nennenswerte Trauergemeinde starb. Hauptsache schön unpersönlich und allgemein gehalten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Onkel ihm viele Informationen über seinen verstorbenen Neffen gegeben hatte. Dass er sie hatte geben können. Wahrscheinlich hatte er Seraphin selbst kaum gekannt.
    Jetzt stellten sich alle in einer Reihe auf. Warfen Erde in das Grab. Ich war der Letzte. Neben mir Sonja. Wir waren schnell dran; viele standen ja nicht vor uns. Ich blickte hinunter auf den dreckigen, hölzernen Sargdeckel und fragte mich, wie teuer die Beerdigung wohl gewesen war. Besonders edel sah der Sarg nicht aus. Er war schlicht und wirkte zerbrechlich, keine Rosen. Ich spürte etwas Nasses. Hatte der Himmel doch noch Erbarmen mit seinem gefallenen Engel? Kam endlich doch noch Regen? Aber es waren nur meine Tränen, die mir die Wangen hinunterliefen.
    Ich stand da und blickte zu Seraphin hinunter. Spürte Sonjas Hand auf meiner Schulter, ein leichter Druck. Kaum noch zu fühlen. Dann war er ganz fort. Ich konnte ihre Schritte auf dem Kies verklingen hören. Als ich mich schließlich umdrehte, merkte ich, dass alle anderen gegangen waren. Nur die Totengräber standen noch da, still und pietätvoll wartend, doch ich wusste, dass auch jeder von ihnen innerlich schon längst fort war. Wahrscheinlich nie da gewesen. Irgendwo zwischen der Lieblingsserie und der Frau. Nur darauf wartend, die arme Leiche da unten zuzuschaufeln und von diesem verfluchten Ort zu verschwinden.
    Ich stand trotzdem noch eine Weile da. Sagte nichts. Ließ mich irgendwann auf die Knie fallen. Beugte mich vornüber. Weinte. Wusste nicht, was ich tun sollte, wie ich Seraphin die letzte Ehre erweisen sollte. Irgendwann (mein Zeitgefühl war mit Seraphin begraben worden) räusperte sich einer der Bestatter. Ich blickte auf. Spürte, wie meine Unterlippe zitterte. War so furchtbar wütend. Wie konnten sie nur so herzlos sein? Herzlos. Plötzlich hatte ich Mitleid mit ihnen. Mit ihrem trostlosen Leben. Dass sie Tag für Tag der Trauer und dem Schmerz anderer ausgesetzt waren.
    Ich rappelte mich mühsam auf, versuchte, langsamer zu atmen, murmelte leise so etwas wie »’Tschuldigung«, nickte ihnen zu und ging. Meine blonden Locken fielen mir ins Gesicht, sie waren schweißverklebt. Meine Schritte knirschten unheilvoll laut auf dem Kies. Ich kam mir lächerlich vor, wie jemand, der ich vorgab zu sein, aber nie gewesen war. Wie jemand Großes, Mächtiges, Mutiges. Dabei konnte ich mich doch gar nicht selbst betrügen. Dabei wusste ich doch genau, wer ich war: Gabriel. Ein kleiner, feiger Mörder.

Notizen
    Â 
    Manchmal verändert das Gehirn Erinnerungen. Entweder das, oder es beeinflusst Wahrnehmungen. Denn hin und wieder kommt es vor, dass man feststellen muss, dass eine bestimmte Erinnerung nicht real ist. Man sieht die Situation vor sich, glasklar, wie in HD auf einen mentalen Fernseher projiziert. Zum Beispiel die Erinnerung an einen bestimmten Ort. Und dann kommt es vor, dass man sich durch Zufall nach langer Zeit an genau demselben Ort wiederfindet – und er sieht anders aus. Komplett verändert. Meist sind es nur kleine Details, welche als Ganzes betrachtet jedoch eine gänzlich andere Stelle ergeben. Und doch weiß man instinktiv, dass sie dieselbe ist. Dass sie sich kein bisschen verändert hat. Dass sie schon immer so aussah. Und wahrscheinlich auch immer so aussehen wird.
    Wenn
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