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Furor

Furor

Titel: Furor
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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warten. Als das Telefon klingelte, hatte Krug schon beim ersten Läuten den Hörer am Ohr.
    »Ja, er ist hier. Ja, wir schicken ihn sofort rüber.« Der Polizist legte auf und wandte sich wieder Sebastian zu.
    »Wir möchten Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen. Das übernimmt ein Kollege, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Als würde das jemanden interessieren. Wieder setzten sie ihn in ein Auto. Der Beamte, der schweigend hinterm Steuer saß, fuhr den Streifenwagen im Schneckentempo durch die Fußgängerzone von der Theatinerstraße bis zum Odeonsplatz. Überrascht stellte Sebastian fest, dass der Polizist ihn direkt vor dem Bayerischen Innenministerium aussteigen ließ. Er schaute dem Wagen hinterher, der sich wieder in den Verkehr auf der Ludwigstraße einordnete.
    Ein kleiner, fetter Mann kam aus dem Haupteingang des Innenministeriums direkt auf ihn zu. Die viel zu weiten Hosenbeine flatterten um seine feisten Fußknöchel wie zwei aufgescheuchte Vögel. Er baute sich schnaufend vor Sebastian auf, stemmte die Fäuste in die Seiten und musterte den jungen Mann vor sich aus zusammengekniffenen Schweinsäuglein.
    »Herr Raabe? Schön, dass Sie da sind.« Er streckte Sebastian eine weiche, klebrige Hand entgegen und fuhr sich mit einem Taschentuch über das Gesicht. Dieses Taschentuch war ja wohl ein Klischee, dachte Sebastian. Das wirkte fast wie der Versuch eines dicken Mannes, einen dicken Mann zu spielen. Auch die hohe Stimme passte dazu.
    »Herr Raabe, es tut mir furchtbar Leid, was mit Ihrem Vater passiert ist. Es ist wirklich schrecklich«, fuhr der fette Mann fort. »Mein Name ist Dietz, Mark Dietz, Polizeibeamter. Kurz, Kommissar.«
    Kurzkommissar, dachte Sebastian.
    Der Dicke schien Sebastians Verwirrung zu spüren und versuchte sich in einem beschwichtigenden Ton.
    »Reine Routine, das alles«, erklärte er. »Ich bin mit der Untersuchung des Falls betraut. Ihr Vater ist ja ein wichtiger Mann. Kommen Sie bitte mit.«
    Nach einigen Treppen und endlosen Korridoren fand Sebastian sich in einem kleinen Büro wieder, dessen Besitzer offensichtlich starker Raucher war. Kalter Rauch hing in der Luft, und überquellende Aschenbecher waren im ganzen Raum verteilt. Dietz ließ sich ächzend in den Bürosessel hinter dem Schreibtisch fallen und bot Sebastian den Platz gegenüber an.
    »Ihr Vater . . .«, begann der Kriminalbeamte. Ist hirntot, setzte Sebastian im Geiste fort. Seltsam, dass mir das irgendwie überhaupt nichts sagt, dachte er.
    ». . . ist ein wichtiger Mann«, beendete Dietz seinen Satz. »Und Sie wissen, er hat auf einem Gebiet geforscht, das von unschätzbarer Bedeutung für die Wissenschaft ist. Deshalb müssen wir alles wissen, was uns helfen könnte, seinen Unfall aufzuklären. Ich weiß, dass das jetzt sehr hart für Sie ist«, erklärte der Dicke. »Aber je schneller wir es hinter uns gebracht haben, umso besser, nicht wahr?«
    »Natürlich.«
    »Zigarette?«
    Dietz reichte ihm eine Schachtel. Sie war noch unberührt. Sebastian öffnete sie und zog umständlich eine Zigarette heraus. Dietz gab ihm Feuer, machte selbst jedoch eine Rauchpause. Oder war Dietz Nichtraucher und dieses Büro gar nicht Dietz’ üblicher Arbeitsplatz?
    »Ich erkläre Ihnen jetzt, was wir bislang wissen, beziehungsweise, wovon wir bis jetzt ausgehen. Sind Sie bereit?«
    Sebastian zuckte mit den Achseln. »Natürlich will ich wissen, was los ist.«
    Dietz nickte. Die Haut an seinem Hals schlug Wellen, die auf den Krawattenknoten brandeten.
    »Ich habe vor zehn Minuten mit dem Krankenhaus telefoniert. Vor einer Stunde hat sein Hirnstamm noch Impulse abgegeben und sein Herz noch geschlagen. Aber das Großhirn war zu stark geschädigt, als dass man auf Reste von Bewusstsein hoffen konnte. Inzwischen ist auch der Hirnstamm stumm. Es sind nur noch die Maschinen, die den Stoffwechsel aufrechterhalten. Ihr Vater ist hirntot.«
    Sebastian nickte. Ja, hirntot, das hatte der Sanitäter wohl gesagt. Er nahm die Informationen zur Kenntnis, doch sie erreichten nicht die tieferen Schichten seines Bewusstseins. Er speicherte sie irgendwo in seiner Großhirnrinde. Irgendwann wird aus der Kenntnis Erkenntnis werden, dachte er.
    »Ihr Vater hat sich offensichtlich gestern Nacht in seinem Büro betrunken. Wir haben eine leere Flasche Bushmills dort gefunden.« Dietz machte eine Pause, klopfte mit den Fingerspitzen lautlos auf seine breiten Oberschenkel. »Dann ist er zum Aufzug gegangen, eingestiegen, hat die Deckenluke geöffnet und
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