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Furor

Furor

Titel: Furor
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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Elektroden gereizt, so werden Phosphene wahrgenommen. Diese leicht erkennbaren Lichtblitze bieten für Patienten, die ihr Augenlicht etwa aufgrund einer Krebserkrankung oder anderer trauriger Umstände verloren haben, ein gewisses Maß an Information. Die optische Qualität dieser Signale ist zwar nur gering, etwa so, als sähe man die Welt über einen Schwarz-Weiß-Fernsehschirm mit einer Auflösung von 10 mal 10 Pixel. Für einen vollständig erblindeten Menschen aber ist es ein echter Segen.
    Die Technologie der Neuroprothetik steckt noch in den Kinderschuhen. Wenn man jedoch bedenkt, mit welcher atemberaubenden Geschwindigkeit elektronische Schaltkreise schrumpfen und das Wissen um Moleküle und Neuronen wächst, so stellt man fest, dass es kein grundsätzliches wissenschaftliches Prinzip gibt, das waghalsige Medizintechniker daran hindern würde, letztlich auch lebensechte Bilder undTöne von höchster Qualität direkt in die Hirnrinde zu speisen, oder die feinen, sich ständig verändernden Signale im sogenannten Broca-Sprachzentrum abzulesen und in eine künstliche Stimme zu übersetzen, was zum Beispiel Patienten helfen würde, die nach einem Schlaganfall die Sprache verloren haben.
    Aber warum sollte man hier aufhören? Warum sollte man diese Verfahren auf die Behandlung verletzter Patienten beschränken und nur ersetzen, was sie verloren haben? Warum sollte man nicht die Sinne erweitern und gesunden Menschen vollständig neue Fähigkeiten verleihen?
    Während es schwierig ist, etwas Konkretes für die Zukunft vorherzusehen, so lässt sich aber mit Bestimmtheit sagen, dass sichere und verlässliche Hirn-Maschinen-Kopplungen (Interfaces) innerhalb weniger Jahrzehnte Realität werden. Diese Geräte könnten die Form von Schädelkappen haben, die elektromagnetische Strahlung in winzige Bereiche der darunter liegenden Hirnrinde senden, um gleichzeitig Nervenzellen zu stimulieren und ihre bio-elektrische Aktivität abzutasten. Ein wahrscheinlicheres Szenario stellt eine Art organo-elektrisches Gerät dar, das eine dauerhafte Verbindung zwischen einem konventionellen Computer innerhalb des Schädels und eigenen Hirn-Neuronen bildet, eine Verbindung, die wächst, während sich das Gehirn im Laufe des Lebens verändert. Mit einem passenden Sofware-Interface könnte dies eine nahtlose Erweiterung des eigenen Gehirns darstellen: Man denkt an etwas Abstraktes oder an ein zurückliegendes Ereignis, und der implantierte Chip findet die dazugehörenden Informationen sofort wieder. Nervensysteme sind so veränderbar und plastisch, dass sich die Methode nach einer kurzen Zeit der Anpassung völlig natürlich anfühlen würde. Tatsächlich würde man sich bald wundern, wie man vorher ohne ein solcherart künstlich erweitertes Gehirn leben konnte.
    Allerdings müssen, damit selbst die primitivsten Anwendungenvon Neuroprothesen erfolgreich sein können, noch beachtliche Hürden überwunden werden. Diese reichen von Abstoßungsreaktionen des Immunsystems, der Entstehung von Hitze und der langfristigen Stabilität der Verbindung zwischen Hirn und Maschine auf der technischen Seite bis zu dem dringend notwendigen Verständnis des Codes, der von den Hirnzellen genutzt wird, um sensorische, motorische und Erinnerungs-Informationen zu entschlüsseln und zu kommunizieren, auf der wissenschaftlichen Seite.
    Wie ›Furor‹ ganz deutlich macht, wirft unsere zunehmende Fähigkeit, Gehirne zu verstehen und zu manipulieren, grundlegende ethische Fragen auf. Wer kontrolliert diese Technologie? Und mit welchen Motiven? Und wo sind die Grenzen – wenn es überhaupt welche gibt? Während die meisten Menschen wenig Probleme in Verfahren sehen dürften, die einem Behinderten dabei helfen, sich zu bewegen oder einem Menschen mit Depressionen ein aktives Leben zu ermöglichen, so verursacht der Gedanke, diese Technik im großen Rahmen mit dem Ziel anzuwenden, die sinnlichen, motorischen und kognitiven Fähigkeiten zu verstärken, gemischte Reaktionen.
    Manche Menschen glauben an die unendliche Formbarkeit des Individuums, die schier grenzenlosen Möglichkeiten, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und den Körper und den Geist zu verbessern mit Hilfe von harter Arbeit, Training, Ausdauer, und durch den Einsatz von Chemikalien und Chirurgie (vom Working-out und der Einnahme von Vitaminpräparaten bis zu Schönheitsmitteln und Hormonen). Andere argumentieren auf der Basis religiöser Überzeugungen oder der Verantwortung für soziale
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