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Furor

Furor

Titel: Furor
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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weiß.
    Dr. Volker N. (PDS): Aber vielleicht beschreiben Sie uns, was passiert ist, an diesem Tag. Der Reihe nach.
    Zeuge: Wir sind am frühen Morgen in das Dorf eingedrungen und haben die Hütten durchsucht. Aber wir haben niemanden festgenommen. Einige Menschen wurden sofort erschossen. Andere wurden aus ihren Hütten herausgetrieben und dann auf dem Dorfplatz erschossen.
    Dr. Reinhard B. (SPD): Gab es irgendeine Form von Widerstand?
    Zeuge: Nein.
    Dr. Heidrun F. (CDU): Wurden Sie provoziert?
    Zeuge: Nein, niemand, soweit ich weiß. Ich weiß nur, dass es passiert ist. Wir haben es getan, so, wie ich es gerade beschrieben habe.
(Pause)
Ich würde ja selbst gern verstehen, warum wir es getan haben. Das war nicht unser Auftrag. Wir wurden ausgebildet, uns anders zu verhalten. Mehr weiß ich nicht.
(Pause)
Mehr kann ich dazu nicht sagen.

18. April, Mittag
    Auf dem Türschild von Christian Raabes Büro stand lediglich sein Name. Kein Titel, keine Funktion, nichts wies darauf hin, wer dieser Raabe eigentlich war – oder besser, gewesen war. Sebastian öffnete vorsichtig die unverschlossene Tür. Er wusste, dass er sie nicht zu weit aufdrücken durfte, um nicht gegen die Regale an der Wand dahinter zu stoßen. Die vielen Bücher ringsherum reduzierten die freie Fläche des Büros auf wenige Quadratmeter. Aber obwohl das Zimmer so zugestellt war, war es darin sehr hell. Die obere Hälfte der Wand gegenüber der Tür war verglast und ging nach Osten. Ex oriente lux, dachte Sebastian. War das seine eigene Assoziation oder hatte das sein Vater einmal an dieser Stelle gesagt?
    Sebastian quetschte sich durch den Türspalt, ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und ging zum Schreibtisch. Einige Bücher waren aus dem Regal gefallen und lagen auf dem Boden. Auf dem Schreibtisch herrschte ein Chaos aus Fachzeitschriften, Journalen, Aktenordnern und vollgekritzelten Notizzetteln. Die Schubladen standen teilweise offen. Sonst hatte hier immer ein wohl geordnetes Chaos geherrscht. Jetzt sah es aber so aus, als sei vor ihm jemand da gewesen, wahrscheinlich die Polizei.
    Der Bildschirm des Computers stand so auf dem Schreibtisch, dass die Sonne nicht blenden konnte. Sebastian räumte eine dicke Lage Zeitschriften und Journale von der Tastatur – ein Querschnitt aller einschlägigen Fachblätter der letzten Monate. Das Wissen wächst und wächst, aber das Verständnis nicht, hatte sein Vater einmal gesagt. Es war ein seltsames Gefühl, in diesem Schreibtischsessel zu sitzen und zu wissen, dass sein Vater niemals hierher zurückkommen würde. Das hier war sein Leben gewesen, und man spürte ganz deutlich seine Präsenz. Unglaublich, dass dieses Leben vorbei sein sollte.
    Sebastian schaltete den Computer ein und hörte zu, wie er mit leisen, satten Tönen hochfuhr. In der Mitte des schwarzen Bildschirms erschien ein kleiner roter Funke, aus dem sich zu den Rändern hin pulsierend Kreise ausbreiteten. Es sah aus, als würde sich der Bildschirm rhythmisch aus seinem Rahmen herauswölben. Links oben tauchte ein Wort auf:
    Ready
    Also gut, dachte Sebastian, versuchen wir es mal mit einem ganz einfachen Start. Er gab die Standardkennung seines Vaters ein.
    @CR
    Dann drückte er die Eingabetaste. Der Computer reagierte nicht. Die drei Zeichen blieben einige Sekunden dort stehen und verblassten dann. Wieder erschien der rote Funke, diesmal verwandelte er sich jedoch nicht in die konzentrischen Kreise, sondern in Buchstaben, die aus ihm herauswuchsen und dann quer über den Bildschirm den Satz bildeten:
    Ne stultus quidem usus sit isto computatore, Mellon
    Das war ganz sicher keine der üblichen Formeln, mit denen ein PC seinen Benutzer begrüßte.
    Sebastian überlegte. Soweit er es verstand, bedeutete das:
    »Nur ein Narr benutzt diesen Computer«.
    Seltsam. War das ein selbstironischer Spaß seines Vaters? Hieß das, wer kein Narr ist, versucht nicht, diesen Computer zu benutzen? Ach was. Und was bedeutete eigentlich dieses letzte Wort, »
Mellon
«?
    Sein Vater musste davon ausgegangen sein, dass Sebastian das richtige Passwort herausfinden konnte. Er traute ihm offensichtlich zu, dieses Rätsel zu lösen. Im Gegensatz zu allen anderen, die es versuchen könnten. Die Lösung musste demnach nahe liegend sein – zumindest für ihn.
    Los, denk nach, Sebastian. Dein Vater war nicht der romantischeTyp, der ein Passwort benutzte, das mit seinem Leben oder seinen Gefühlen zu tun hatte. Aber wenn Sebastian die Dateien löschen sollte,
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