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funny girl

funny girl

Titel: funny girl
Autoren: Anthony McCarten
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kurdischen Familien zusammenhielten, auch niemals richtig aus. Azime saß in diesem kleinen Winkel von London fest, und der Klammergriff von Familie und Gemeinschaft war zu stark, zu elastisch, zu selbstverständlich, zu umfassend, zu vielschichtig, zu verlockend. Einmal die Tochter von Aristot und Sabite Gevaş, immer die Tochter. Einmal eine Kurdin aus Green Lanes, immer eine…
    Die Familie Gevaş.
    Sabite: klein, abergläubisch, traditionsverbunden, furchteinflößend, misstrauisch gegenüber Humor, Lieblingssatz »Fünf Tage!«, begleitet von einer Bewegung ihres rechten Zeigefingers in Richtung des Zimmers, in dem das betreffende Kind diese Verbannungszeit verbringen würde.
    Azimes Vater Aristot: groß, rundlich, Stirnglatze, stolz, geizig, ein Mann, der gern einmal lachte, aber genauso zu mittelalterlichen Gedanken und zu Taten, die sich jeder Vernunft entzogen, fähig war wie seine Frau. Seine Lieblingsausdrücke: »widerlich« und »Blödes Arschloch«, beide gern gebraucht, der Erstere für die Sucht seiner Frau nach Schokolade, der Zweite für seine Kinder. (In puncto Schokolade war er allerdings nicht unnachgiebig, und es verging keine Woche, in der Sabite nicht eine Kommodenschublade aufzog und ein kleines süßes Geschenk für sich fand.)
    Die Ehe von Sabite und Aristot war eine arrangierte Ehe und widerlegte das Vorurteil, dass solche Verbindungen zwangsläufig eine Katastrophe sein mussten.
    Der Nächste in der Reihe, nach Azime, war Zeki: sechzehn, groß, dürr, launisch, unglücklich, aber nicht ungeliebt. Verstand sich als Gehilfe seines Vaters und als dessen rechte Hand (wenn auch niemals als solche gebraucht) und fand nichts dabei, die eigene rechte Hand gegen seine Schwestern zu erheben.
    Und dann war da noch Döndü, die Jüngste, schelmisch, unberechenbar, acht Jahre alt, starrköpfig, und der Name (der so viel bedeutete wie »eisig«) passte genau. Jeden Tag riskierte sie neu den elterlichen Zorn, um zu beweisen, dass sie »unabhängig« war, was oft genug bedeutete, dass es ihr Zimmer war, auf das der mütterliche Zeigefinger deutete, wenn es »Fünf Tage!« hieß. Aber so lange noch keine unmittelbaren Entscheidungen anstanden – eines Tages gedachte sie Hirnchirurgin, Patentanwältin und Topmodel zu werden –, arbeitete sie erst einmal an einer Liste der Dinge, die sie auf gar keinen Fall werden wollte, wenn sie erwachsen war, und dazu gehörten Hausfrau, junge Mutter und verarmte, unterwürfige Sklavin.
    Das war die Familie Gevaş, und in einer seltenen Geste der Assimilation, weil die Kinder in England geboren waren und auf englische Schulen gingen, war Englisch nach und nach zur Umgangssprache im Haushalt geworden – selbst für Sabite, die am wenigsten Kontakt mit der umgebenden Kultur hatte.
    »Sechs Tage?Das ist so was von unfair!«, schrie Döndü und stürmte aus dem Zimmer.
    »Dann eben drei Wochen, wenn du nicht na rawa ! Auf dein Zimmer! Nirgendwohin außer in die Schule, sechs Tage lang!«
    Im Wohnzimmer nahm Aristot die Spitzendecke ab, die den an die Wand montierten Flachbildfernseher verhüllte. (Es gab kaum eine Fläche im Haus, die nicht mit einer Spitzendecke verhüllt war.) Sabite breitete stets dieses Tuch über das Gerät, manchmal sogar, wenn es eingeschaltet war, sah sich das Programm durch dieses Muster an und fand es angenehm, wie das Bild dadurch weicher wurde. Nach eigener Aussage tat sie das, weil ihr die Auswirkungen des Fernsehens auf das Familienleben zuwider waren, und mehr als alles andere verabscheute sie jene sexuell gefärbten Anzüglichkeiten, für die Briten mit ihrer schmutzigen Phantasie eine ganz besondere Vorliebe hatten. Immer ging es um Hintern. Immer Geschlechtsteile. Immer Zoten, die abstoßende glatzköpfige Männer erzählten, oft auch noch als Frauen verkleidet. Immer das Gelächter von Publikum, das man nie sah, weil es gar nicht da war. Lachen als Lüge. Und immer ging es um Sex, Sex, Sex – alles nur Blödsinn.
    Aristot hingegen hatte überhaupt nichts gegen britischen Humor. Im Gegenteil, er genoss ihn, und wenn er sich abends vor den Fernseher setzte und Entspannung meist bitter nötig hatte, dann zappte er sich durch die Kanäle, bis er genau den Blödsinn fand, den seine Frau so verabscheute. An diesem Abend setzte sich Azime neben ihn auf die Couch. Sie bemerkte ein Goldfischglas auf dem Bord über dem geliebten Fernseher ihres Vaters – und in dem Glas schwamm in trägen Kreisen ein Fisch.
    »Was macht der denn hier?«,
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