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funny girl

funny girl

Titel: funny girl
Autoren: Anthony McCarten
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diese Terroranschläge waren gegen alle Londoner gerichtet, unabhängig von ihrer Religion. Hoffen wir, dass wir ein Teil des Leids mit unseren Witzen weglachen und heilen können.
    (Applaus.)
    Und – herzlichen Dank dafür, dass Sie alle heute Abend so nett zu mir waren, ich habe alle meine Witze aufgebraucht. Und muss noch ungefähr fünf Minuten bestreiten.
    (Schweigen.)
    Das ist kein Witz. Sind alle aufgebraucht.
    (Gelächter.)
    Nein, wirklich. Ich bin fix und fertig. Das sollte ich euch lieber nicht sagen. Denn jetzt denkt ihr wahrscheinlich, ich komm mit der Mitleidsnummer oder so. Aber in Wahrheit bin ich einfach eine totale Anfängerin, wirklich, und diese Auskunft bin ich euch doch schuldig, oder?
    (Verhaltenes Gelächter.)
    Ich stehe heute erst zum vierten Mal auf der Bühne und versuche Leute zum Lachen zu bringen. Ich fürchte, die haben mich nur genommen, weil ich eine Nische bediene – die Nicht-wirklich-witzig-aber-wir-wussten-nicht-wie-wir-die-Taliban-sonst-auf-die-Bühne-kriegen-sollen-Nische. Frau und ethnische Minderheit – besser geht’s nicht! Die Guardian -Leser werden jubeln, und außerdem bleibt so mehr Zeit für die echten, sprich die männlichen, Comedians. Phantastisch. Zwei Fliegen mit einer Klappe, oder wie es auf Chinesisch heißt, zwei Vögel mit einem Stein – in einigen Ländern eine schnelle Lösung für Ehebrecher.
    (Allgemeines Gelächter.)
    Aber wisst ihr was? Selbst wenn ich die Alibi-Muslimin bin, hab ich doch etwas gelernt – ich bin mit Leib und Seele Komikerin. Ehrlich. Ich genieße mein Recht auf Redefreiheit.
    (Schweigen.)
    Meine… äh… meine Comedy-Lehrerin hat mir das mal gesagt. Sie hat gesagt, wir hätten das Recht, Dinge zur Sprache zu bringen, die die Leute ärgern, aber nicht die Pflicht. Wisst ihr, was die wahre Bedrohung der Redefreiheit ist?
    (Jemand in der Menge rief: »Sag’s uns, Azime!«, eine andere Stimme johlte »Huhu!«)
    Die größte Bedrohung sind wir selbst.
    (Mit der weinerlichen Stimme einer einfältigen Person:)
    Aber wie kannst du denn so was sagen, Azime? Wir lieben die Redefreiheit. Bei uns wird liberal groß geschrieben, wir kaufen Biobrot, wir recyceln Sachen, die schon vorher recycelt waren, wir würden für die Verteidigung der Redefreiheit unser Leben geben.
    (Azime holte tief Luft.)
    Jetzt hört mir mal zu, ihr eingebildeten selbstgefälligen gutbetuchten freilaufenden beifangfreien fair gehandelten ballaststoffreichen kompostierbaren kohlehydratfreien linksliberalen Arschbleicher…
    (Applaus.)
    …Tatsache ist wohl eher, uns allen macht die Redefreiheit eine Heidenangst. Eine Heidenangst. Warum? Na, wegen der Folgen! W egen der Folgen. Ha! Wir wollen nicht verletzt, beschimpft, isoliert, mit irgendetwas Kontroversem in Verbindung gebracht werden. So einfach ist das. Es zeigt sich nämlich, dass Redefreiheit kostspielig ist. Sehr kostspielig. Redefreiheit ist so etwas wie… wie das Tiffany’s unter den Menschenrechten, der Cartier-Diamant unter den Freiheiten – man kann ihn bestaunen, aber er bleibt unerschwinglich. Deshalb ist es uns bei den meisten wirklich wichtigen Fragen lieber, wenn das mit der freien Rede jemand anderes übernimmt. Ist das nicht toll?« (Mit Kinderstimme:) »Mach du das. Los. Du kannst das sooooo gut. Ach ja, Azime: Wir stehen zu zweihunder Prozent hinter dir in dieser Sache, zu zweihundert Prozent, aber wenn es schiefgeht, auch zweihundert Meilen entfernt.«
    (Noch mehr Applaus aus dem Publikum.)
    Ich glaube, wir lernen das schon auf dem Spielplatz. Die anderen sagen: »Los! Mach’s. Das wird super!« Freunde, die einen anfeuern – ist euch sicher auch schon passiert, oder? Die einen zu einer völligen Dummheit, etwas richtig Gefährlichem anstiften? Ich nenne es: Von hinten führen. Von hinten führen geht so: »Klar, wirf nur, Azime, die leere Flasche kannst du ruhig von der Fußgängerbrücke werfen, tolle Idee. Mach’s ruhig. Zwar werden andere Menschen dabei zu Tode kommen. Aber das ist sooooo lustig. Wirf die leere Limonadenflasche auf die Autobahn, Azime, komm, wir wollen hören, wie das klirrt, das ist soooooooo cool und kann zu einem Autounfall führen. Azime, los, komm, mach, schmeiß, schmeiß, schmeiß!…
    (Pause.)
    »Scheiße, die hat echt geschmissen.«
    (Azime pfiff, während sie die Flugbahn der Flasche verfolgte, bis ganz unten.)
    Wusch!
    (Dann hob sie wieder den Blick und machte das Geräusch einer Polizeisirene.)
    Dahdü-dahdü.
    »Mann, du bist aber auch böd, Azime, was hast du
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