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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen?
Autoren: Ansgar Oberholz
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gar nicht gedacht. Aber vielleicht verändert es auch den Platz so sehr, dass mein Konzept gar nicht mehr hierherpasst.«
    »Nu sei doch nich imma son Hosenschisser. Du hast den Eckladen. Dit alte Aschinger. Der Laden is Chef hier am Platz. Dit is immer jeloofen und wird immer loofen. Du bist doch ooch nich uff da Wurstsuppe nach Berlin jeschwommen. Halt durch. Dit wird schon allet.«
    Er wirft seine Zigarette auf den Boden, stellt seinen Fuß darauf, dreht ihn mehrmals im Fünfundvierzig-Grad-Winkel hin und her und schmeißt krachend die Schiebetür zu. Das Gespräch ist damit beendet.
    Das Gorki Park ist ein schönes altes Cafés, es ist schon seit einigen Jahren hier am Ende des Weinbergswegs. Man betritt es über einige Stufen, die ins Hochparterre führen. Es ist knarzig und verwinkelt und strahlt tatsächlich etwas Russisches aus. Im Schriftzug sind Hammer und Sichel versteckt, der Zapfhahn gleicht einem Samowar, und an den rot gestrichenen Wänden hängen sozialistische Plakate mit kyrillischer Schrift.
    Heute Abend ist hier nicht viel los. Ich werde an meinem kleinen Holztisch schnell bedient. Heringstatar mit Rührei und Räucherlachs bestelle ich, »Schwarzes Meer« heißt das Gericht. Dazu wird Wodka gereicht.
    Das Essen schmeckt gut, der Wodka hat eine belebende Wirkung auf mich. Ich esse nicht alles auf, die Portion ist groß. Am Schwarzen Meer war ich noch nie, und auch noch nie in Russland. Ein paar Russen kenne ich, die trinken Wodka wie andere Völker Bier.
    »Haben Sie vielleicht ein bisschen Kleingeld für mich?«
    Das ist Freds Stimme – an einem der Nebentische. Er hält einen Pappbecher in der Hand, der nicht aus meinem Café stammt, was leichte Eifersucht in mir weckt. Fred zieht ein Bein nach, wenn er von Tisch zu Tisch geht, als ob es steif wäre. Vermutlich kann der General hier aufgrund der steilen Treppe am Eingang nicht hinein. Die alten Gaststätten genießen Bestandsschutz, der bauliche Zustand vor der Einführung der Barrierefreiheit muss nicht verändert werden, es sei denn, es findet ein Besitzerwechsel statt.
    Fred kommt Tisch um Tisch näher, bis er vor mir steht und, ohne mich anzublicken, seinen Spruch aufsagt. Er sieht nicht gut aus, sein Allgemeinzustand hat sich verschlechtert, seit ich ihm das letzte Mal begegnet bin. Gewissensbisse und Schuldgefühle steigen in mir auf.
    »Fred!«, sage ich liebevoll und mit weicher Stimme, er erkennt mich nicht, ich stehe auf. Er sieht mich stirnrunzelnd an.
    »Ich bin es. Der Typ vom Café dort drüben.«
    Fred blickt mir kurz in die Augen, nickt verständnisvoll, klemmt sich die Obdachlosenzeitschrift unter den Arm, dreht auf der Hacke um und verlässt zügigen Schrittes das Gorki Park, ohne das Bein nachzuziehen. Als würde er sich an mein Hausverbot erinnern, dabei aber vergessen, dass dies hier nicht mein Laden ist.
    In den letzten Wochen erinnerte ich mich immer wieder an seinen Abenteurerratschlag und begriff mehr und mehr, was er damit gemeint hatte. Ich lege genügend Geld auf den Tisch, um die Rechnung zu begleichen, und folge ihm. Ich will mit ihm sprechen, ihm für seinen Rat danken und vielleicht auch Hilfe anbieten. Es muss ja nicht unbedingt Hilfe sein, die mit meinem Café in Verbindung steht.
    Auf dem Weinbergsweg ist es recht still, die Elektrische der Linie M1 hält an, ihre Motoren surren im Leerlauf, nur wenige Menschen steigen aus, fast niemand steigt ein. Bevor sie wieder losfährt, klingelt sie ihr Straßenbahnklingeln, ein Fußgänger steht ihrer Weiterfahrt im Wege.
    Fred ist nicht zu sehen, auch der General nicht. Wie kann er in der kurzen Zeit verschwunden sein? Ich gehe ein kleines Stück den Weinbergsweg hinauf in Richtung Prenzlauer Berg, bis zur Ecke, wo der Weinbergspark beginnt, der still und dunkel schläft und doch bedrohlich wirkt. Ein junger Mann tritt aus der Deckung des Parks und bietet mir Drogen zum Kauf an.
    Ich drehe um und kehre zum Rosenthaler Platz zurück, stehe ratlos vor dem U-Bahn-Eingang am Weinbergsweg, ich gebe die Suche auf und gehe zurück zu meinem Café. Ich überquere die Brunnenstraße, gehe vorbei am Grill- und Schlemmerbuffet unter dem Fit-Sportstudio, kreuze die Torstraße, verweile einen Moment vor Yildiz Grill-Bistro, wo ich Freds Lachen höre, ihn aber nicht sehen kann.
    Schließlich finde ich ihn zwischen zwei parallel zum Straßenrand parkenden Personenkraftwagen. Er kauert vor dem Kühler eines Fahrzeugs und unterhält sich. Sein Mantel bedeckt seine Beine bis zum Boden,
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