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Für alle Fragen offen

Titel: Für alle Fragen offen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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»Ich müsste dann anerkennen: Ganz ernst ist es mir nicht. Ich denke ja auch zu viel an Artistisches, an das, was dem Theater zugutekommt, als dass es mir ganz ernst sein könnte.«
    Diese von Walter Benjamin überlieferte Äußerung ist eine Schlüsselstelle für das Verständnis des Phänomens Brecht. Dass er die Literatur und die Philosophie und alle Künste
stets aus der Perspektive des Theaterautors sah, ist bekannt. Aber er hat aus dieser Perspektive das ganze Leben gesehen, auch die Politik. Als ihm 1941 sein Stück Der gute Mensch von Sezuan zu lang geraten schien, notierte er: »das stück beweist, dass die neue dramatik eine kürzung der arbeitszeit verlangt …«
    Hier verbirgt sich der entscheidende Unterschied zwischen ihm und vielen seiner Jünger: Die Brechtianer wollen ein Theater, das die kommunistische Gesellschaft ermöglichen soll, Brecht will die kommunistische Gesellschaft, damit sie sein Theater ermöglicht. 1942 meinte er nach einem Gespräch mit der Schauspielerin Elisabeth Bergner, »dass sie das publikum nicht als eine versammlung von weltänderern sieht, die einen bericht über die welt entgegennehmen«.
    Ungleich skeptischer, ungleich klüger als viele seiner Schüler und Nachfolger, war er sich wohl darüber im Klaren, dass die Politik das Theater verderben könne, doch niemals das Theater die Politik zu verbessern imstande sei. Die von ihm gelegentlich beschworene »versammlung von weltänderern« war nichts anderes als eine Fiktion. Natürlich hat er es gewusst. Indes wollte er sich von ihr auf keinen
Fall trennen: Was seine Bewunderer oft für bare Münze nahmen und auch nehmen sollten, war für ihn selbst ein Hilfsmittel, das er pragmatisch und bisweilen zynisch anwandte, nichts anderes als eine generelle Arbeitshypothese für eine literarische Produktion.
    Er glaubte, dass seine Stücke um ihrer künstlerischen Wirkung willen auf pädagogische Ingredienzien angewiesen seien und ohne politische Intentionen nicht auskommen könnten. Nicht der Kampf war seine Sache, sondern das Spiel. Als Lehrer wollte er unbedingt gelten. Aber letztlich war er doch kein Lehrer und kein Volkserzieher. Er war ein leidenschaftlicher Verführer.
    Möglichst alle wollte er verführen: Frauen und Männer, Junge und Alte, Künstler und Politiker. Und nirgends schienen ihm die Menschen so verführbar wie im Zuschauerraum des Theaters. In unzähligen Ländern haben Millionen von Menschen Brechts Stücke gesehen. Dass aber einer dadurch »seine politische Denkweise geändert oder auch nur einer Prüfung« unterzogen hätte, wagte Max Frisch zu bezweifeln. Er zweifelte sogar, dass Brecht an die erzieherische Wirkung seines Theaters tatsächlich geglaubt habe. Bei den
Proben hatte er, Frisch, den Eindruck: Auch der Nachweis, dass sein Theater nichts zur Veränderung der Gesellschaft beitragen könne, hätte Brechts Bedürfnis nach Theater nicht beeinträchtigt.
    Kurz und gut: Die Politik spielte in Brechts Leben schon eine wichtige Rolle. Aber ein politischer Mensch oder ein politischer Autor war dieser große Künstler mit Sicherheit nicht.

    Arnold Zweig scheint im Westen Deutschlands nur wenig gelesen zu werden. Wie schätzen Sie die Bedeutung seiner Romane ein?
    Ähnlich wie Anna Seghers war Arnold Zweig der repräsentative Autor der DDR. Viele Jahre lang war er dort der wohl am meisten gerühmte Schriftsteller. Eben deshalb wurde er in der Bundesrepublik kaum gedruckt und geriet rasch in Vergessenheit. Nie wollte man ihm, dem Bürger und Liberalen, seine Entscheidung zugunsten des Ostens verzeihen.
    Die Biographie Arnold Zweigs (er wurde 1887 in Schlesien geboren und starb 1968 in Ost-Berlin) ist die Geschichte eines Mannes, in dessen Persönlichkeit Deutschtum, Judentum und Preußentum zu einer Einheit zusammengefunden haben, an der selbst die schrecklichsten Geschehnisse nicht viel zu ändern vermochten.
    Er begegnete der Umwelt mit der luziden Skepsis der Juden und zugleich mit der gradlinigen Einfachheit und der strengen Nüchternheit der Preußen. Der Staat als höchste Einheit von Recht und Moral, von Geist und Tat – das war Zweigs Sehnsucht
und Ziel. So begann er seinen Weg als deutscher Idealist, preußischer Konservativer und jüdischer Traditionalist. Und brav zog er als Soldat in den Ersten Weltkrieg. Nur war ihm das Missgeschick widerfahren – und nicht zum letzten Mal in seinem Leben -, den Staat mit den Idealen zu verwechseln, die dieser zu vertreten vorgab.
    Wie wenig der Untergang des
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