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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz
Autoren: Bettina Broemme
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Sie stürmte zur Tür, zog sie auf, ein Strahlen hing in ihrem Gesicht, sie war so froh, ihn endlich wiederzusehen. Es würde sich alles klären. Er würde ihr helfen. Da war sie ganz sicher.
    »Oh, das ist ja schön, dass ich jemanden antreffe«, sagte Hermann Rosen breit grinsend. Anne gefror das Blut in den Adern.
    Endlich! Endlich hatte seine Mutter mit ihm gesprochen. Auch wenn das, was sie ihm erzählt hatte, unter Tränen, stockend und flüsternd, ein Schock für ihn war, so fühlte er gleichzeitig eine Erleichterung, die ihn vom Scheitel bis zur Sohle ausfüllte. In den letzten Tagen hatte sie vorgegeben, zu starke Schmerzen zu haben, ihn nicht zu verstehen oder sie hatte einfach an die Decke gestarrt und geschwiegen. Er konnte sie nicht verachten. Nicht dafür, dass sie immer geschwiegen hatte. Schließlich war sie seine Mutter. Erst nachdem er ihr die schrecklichsten Passagen aus dem Tagebuch vorgelesen hatte, war sie bereit gewesen zu reden. Zum ersten Mal in ihrem Leben.
    Sie hatte geschwiegen, um ihn selbst, Cornelius, ihren Sohn, zu schützen. Vor diesem Monstrum von Vater. Sollte er lieber andere quälen als den eigenen Sohn.
    »Als ich ihn kennenlernte«, brachte sie zitternd hervor, »habe ich nichts gemerkt. Ich war nur froh, dass er ein so zurückhaltender Mann war, der mich nicht drängte, irgendetwas zu tun, was ich nicht wollte. Unsere Beziehung war eher platonischer Art. Es hat lange gedauert, bis wir… Mir war das recht. Ich war froh, einen Mann zu haben und den Fragen meiner Familie endlich zu entkommen. Ich galt als spätes Mädchen, ständig wurde gefragt, wann ich heirate, Kinder bekomme, grauenhaft, ich wollte davon nichts wissen. Ich wollte Klavier spielen und sonst nichts.«
    »Aber auf den Reisen mit dem Chor – da musst du doch etwas mitbekommen haben«, sagte Cornelius. Sie schüttelte langsam den Kopf.
    »Wir hatten natürlich getrennte Zimmer. Ich habe nichts gemerkt. Es war kurz nach dem Selbstmord von Andreas. Da hat er mich gebeten, ihn zu heiraten. Er wolle meinen Namen annehmen, um mir zu zeigen, wie sehr er mich liebe. Und natürlich war für einen Geistesmenschen der Name Rosen auch angemessener als Koth. Ich stimmte zu. Und dann, kurz nach den Flitterwochen…
    Wir waren zum ersten Mal in Thailand gewesen. Ich hatte dort ein Konzert gegeben, Land und Leute hatten uns sehr begeistert. Als wir zurück waren, hatte ich zum ersten Mal einen Verdacht. Ich fand einen Brief, den er wohl doch nicht abgeschickt hatte – einen Liebesbrief an einen zwölfjährigen Jungen aus dem Chor. Tagelang redete ich mir ein, dass ich da etwas missverstand. Dass das nicht sein konnte. Ich getraute mich nicht, ihn darauf anzusprechen. Irgendwann träumte er immer öfter davon, dass wir doch nach Thailand gehen könnten. Das Land hätte seine Seele beflügelt, sagte er. Und außerdem hätte er eine Stellenausschreibung gesehen – als Lateinlehrer an einer deutschen Schule in Bangkok. Du weißt ja, dass er nach dem Musikstudium noch Lehramt studiert hatte. Ich stimmte zu. Nur weg von hier. Dort würde sicher alles besser werden. Mich hat das Leben dort immer angestrengt, aber er war glücklich. Du kannst dir denken warum… alles war dort… einfacher… für ihn.« Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Minutenlang schwieg sie. Cornelius konnte mit einem Mal ahnen, welche Bilder sie peinigten. Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Auch wenn sein Vater streng gewesen war – wenn er ihn überhaupt beachtete –, in einer Sache war er sehr großzügig gewesen: Er förderte Cornelius’ Freundschaft mit den einheimischen Jungen im Alter seines Sohnes, wo er nur konnte. Sie durften zum Spielen und Essen kommen, sie durften übernachten, zwei von ihnen zahlte er sogar eine Ausbildung an einer Privatschule. Cornelius konnte sich genau an dieses Gefühl erinnern, mit welchem Neid, mit welcher Eifersucht er die Jungen betrachtet hatte, die sein Vater ihm so sehr vorgezogen hatte. Und wie oft hatte er seine Spielgefährten dafür gequält und gepiesackt! Doppelt waren sie gestraft gewesen, das wurde ihm nun klar.
    »Warum bist du nicht gegangen?« Er musste sich beherrschen, nicht laut zu werden.
    »Wohin hätte ich denn gehen sollen? Meiner Familie wollte ich die Genugtuung, dass meine Ehe gescheitert wäre, nicht gönnen. Seit deiner Geburt hatte ich nicht mehr Klavier gespielt – ich hätte nie das Geld für uns verdienen können. Ich wusste einfach nicht, was ich hätte tun sollen. Es war einfacher,
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