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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche
Autoren: Sara Paretzky
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Stück Königskuchen auf dem
kleinen Sofa. Offensichtlich fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Wenn er
gekrümelt hatte, sah er verstohlen auf den Fußboden und schielte dann zu Rosa
hinüber, um festzustellen, ob sie es bemerkt hatte.
    „Dir geht's gut, Victoria? Bist du glücklich?“
    „Ja“, erwiderte ich ruhig.
    „Aber du hast nicht wieder geheiratet?“
    Bei unserem letzten ungemütlichen Zusammentreffen
hatte ich ihr den Mann vorgestellt, mit dem ich eine kurze Ehe geführt hatte. „Man
kann auch ohne Ehepartner glücklich sein, wie Albert dir zweifellos bestätigen
wird - und wie du ja auch selbst weißt.“ Das war eine recht taktlose Bemerkung,
denn Onkel Carl hatte sich kurz nach Alberts Geburt das Leben genommen.
Nachdem ich meine Rachsucht befriedigt hatte, bekam ich Gewissensbisse.
Schließlich war ich inzwischen alt genug, um nicht auf so schäbige Weise
zurückschlagen zu müssen. Doch irgendwie brachte es Rosa immer fertig, mir das
Gefühl zu vermitteln, ich sei erst acht Jahre alt.
    Verächtlich hob Rosa die knochigen Schultern. „Du
hast sicher recht. Allerdings bleibt mir die Freude versagt, Enkelkinder um
mich zu haben.“
    Albert wurde ein bißchen unruhig. Ganz
offensichtlich bekam er diese Klage häufiger zu hören.
    „Wie schade“, entgegnete ich. „Ich weiß, daß Enkel
für dich die Krönung eines glücklichen und tugendsamen Lebens wären.“
    Albert verschluckte sich beinahe, während Rosa
ärgerlich die Brauen zusammenzog. „Gerade du solltest eigentlich wissen,
weshalb ich kein glückliches Leben hatte.“
    Der Zorn ging mit mir durch. „Rosa, du bist
anscheinend der Meinung, daß Gabriella dein Glück zerstört hat. Ich kann mir
nicht vorstellen, welches rätselhafte Leid dir ein achtzehnjähriges Mädchen
zugefügt haben könnte. Du hast sie jedenfalls rausgeworfen und in der
Großstadt sich selbst überlassen. Sie sprach kein Englisch - sie hätte umkommen
können. Was sie dir auch getan haben mag: Es kann nicht so schlimm gewesen
sein wie das, was du dir geleistet hast. Du weißt, daß ich nur gekommen bin,
weil ich Gabriella versprechen mußte, dir im Notfall beizustehen. Das hat mir
zwar niemals gepaßt, aber du siehst, ich bin hier. Lassen wir die Vergangenheit
ruhen! Ich mache keine bösartigen Bemerkungen mehr, und du hörst auf, meine
Mutter zu beleidigen. Sag mir lieber, wo dich der Schuh drückt.“
    Rosa kniff die Lippen zusammen. „Noch nie ist mir
etwas so schwergefallen, wie dich anzurufen. Ich hätte darauf verzichten
sollen.“ Ruckartig stand sie auf und verließ das Zimmer. Ihr wütender Schritt
war auf dem blanken Dielenboden und auf der Treppe zu hören. Dann knallte eine
Tür.
    Ich setzte die Kaffeetasse ab und sah Albert an. Die
Sache war ihm so peinlich, daß er knallrot anlief. Aber er wirkte nicht mehr so
verschlafen wie in Rosas Gegenwart.
    „Hat sie große Scherereien?“
    Er wischte sich die Finger an der Serviette ab und
faltete sie säuberlich. „Es reicht“, brummelte er. „Warum hast du sie auch so
wütend gemacht?“
    „Sie ärgert sich ja schon, wenn sie mich nur sieht.
Am liebsten wär's ihr, ich läge auf dem Grund des Michigansees. Schon seit
Gabriellas Tod ist sie so feindselig. Wenn ich ihr helfen soll, interessieren
mich nur Fakten. Alles übrige soll sie sich für ihren Psychiater aufsparen.
Der kriegt auch mehr dafür bezahlt.“ Ich griff nach meiner Umhängetasche und
stand auf. An der Tür drehte ich mich noch einmal um. „Denk bloß nicht, daß ich
zur zweiten Runde wieder nach Melrose Park komme. Wenn du mir die Geschichte
erzählen willst - gut. Aber wenn ich jetzt gehe, ist der Fall für mich
erledigt. Rosa braucht in Zukunft auch die Familienbande nicht mehr zu bemühen.
Und bevor ich's vergesse: Falls ihr mich engagieren wollt - ich arbeite nicht
umsonst.“
    Er starrte an die Decke, als erhoffe er sich eine
Eingebung von oben - oder aus einem der hinteren Zimmer. Aber es blieb alles
ruhig. Schließlich stand er verlegen auf. „Äh, hör mal. Am besten, ich erzähl's
dir.“
    „Gut. Können wir dazu in ein gemütlicheres Zimmer gehen?“
    „Ja, sicher.“ Zum erstenmal an diesem Nachmittag
lächelte er ein wenig. Ich folgte ihm über den Gang in ein winziges Zimmerchen
auf der linken Seite. Es wurde fast ausschließlich von einer riesigen
Stereoanlage und einer umfangreichen Platten- und Kassettensammlung
eingenommen. Außer kaufmännischer Fachliteratur sah ich keine Bücher, dafür
aber Erinnerungsstücke
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