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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche
Autoren: Sara Paretzky
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in einer Ecke mitten zwischen
Papierstapeln, einem antiquierten Vervielfältigungsapparat und Stößen von
Gebetbüchern.
    Ich kniete mich hin, um ihn genauer anzusehen.
Natürlich war jahrelang die gleiche Kombination verwendet worden, und das
bedeutete, daß jeder sie herausbringen konnte, der eine Zeitlang dort
gearbeitet hatte. Weder das FBI noch die Polizei von Melrose Park hatten Spuren
von Gewaltanwendung gefunden.
    „Wie viele Leute gehen hier im Kloster ein und aus?“
    „Wir haben einundzwanzig Studenten im Kolleg und elf
Geistliche, die unterrichten. Außerdem kommen tagsüber etliche Leute zur
Arbeit. So wie Ihre Tante zum Beispiel oder das Küchenpersonal. Die Brüder
bedienen bei Tisch und waschen das Geschirr ab, aber wir haben drei Frauen, die
für uns kochen, und zwei Leute für die Pforte - den jungen Mann, der Ihnen
vermutlich den Weg zu mir gezeigt hat, und eine Frau für die
Nachmittagsschicht. Und natürlich noch eine Menge Leute aus der Nachbarschaft,
die in der Kapelle am Gottesdienst teilnehmen.“ Wieder lächelte er. „Wir
Dominikaner lehren und predigen. Im allgemeinen betreuen wir keine Kirchengemeinde,
aber die Nachbarn betrachten das hier als ihre Kirche.“
    Kopfschüttelnd bemerkte ich, daß es schwierig sei,
eine solche Anzahl von Leuten zu überprüfen. „Wer hatte denn offiziell Zugang
zum Safe?“
    „Mrs. Vignelli natürlich“ - das war Rosa - „und ich,
ferner der Finanzbevollmächtigte und der Kollegvorstand. Bei der jährlichen
Buchprüfung werden die Wertpapiere von unseren Revisoren stets mit
kontrolliert. Aber ich glaube kaum, daß ihnen die Zahlenkombination bekannt ist.“
    „Weshalb verwahrten Sie die Sachen nicht in einem
Bankschließfach?“
    Er zuckte die Achseln. „Das habe ich mich auch
gefragt. Aber ich wurde erst letzten Mai ernannt.“ Das Lächeln stahl sich in
seine Augen. „Ich habe mich nicht um den Posten bemüht. Aber weil ich zu
keiner Clique hier gehöre, war ich anscheinend der bequemste Kandidat. Nun,
auf jeden Fall ist das meine erste Erfahrung in der Klosterverwaltung. Alles
war neu für mich, und ich wußte auch nicht, daß wir hier Papiere im Wert von
fünf Millionen Dollar liegen hatten.“
    Mir lief es kalt über den Rücken. Fünf Millionen
Dollar!
    Und jeder, der vorbeikam, konnte sie sozusagen
mitnehmen. Ein Wunder, daß man sie nicht schon vor Jahren beiseite geschafft
hatte.
    Ruhig und sachlich erzählte mir Pater Carroll
Einzelheiten über die Aktien. Es handelte sich samt und sonders um erstklassige
Wertpapiere, die dem Kloster vor zehn Jahren von einem wohlhabenden Mann aus
Melrose Park vermacht worden waren.
    Das Kloster war vor fast achtzig Jahren erbaut
worden. Es war ziemlich renovierungsbedürftig. Er deutete auf einige Risse im
Verputz und auf einen großen braunen Fleck an der Decke.
    „Am dringendsten sind die Reparaturen am Dach und an
der Heizungsanlage. Ich hielt es für sinnvoll, einen Teil der Papiere zu verkaufen
und das Geld für die Renovierung zu verwenden. Die Gebäude sind unser
Hauptkapital. Wenn sie auch häßlich und ungemütlich sind, ein Neubau kommt im
Augenblick nicht in Frage. Deshalb legte ich die Angelegenheit dem Orden zur
Entscheidung vor. Am Montag darauf hatte ich in der Stadt einen Termin bei
einem Makler. Wir beschlossen, Papiere im Wert von achtzigtausend Dollar zu
verkaufen. Er hat sie bei uns abgeholt.“
    Eine Woche lang geschah nichts. Dann hatte der
Makler telefonisch mitgeteilt, daß der Fort Dearborn Trust, der das Wertpapiergeschäft
abwickeln sollte, die Aktien überprüft und entdeckt hatte, daß es sich um
Fälschungen handelte.
    „Könnte nicht der Makler oder der Bankier hier einen
kleinen Tausch vorgenommen haben?“
    Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Daran hatten wir
als erstes gedacht. Aber alle übrigen Papiere sind ebenfalls gefälscht.“
    Stumm saßen wir uns gegenüber. Die Aussichten waren
äußerst trübe.
    „Wissen Sie, wann die Papiere zum letzten Mal auf
ihre Echtheit überprüft wurden?“
    „Keine Ahnung. Ich habe mich mit den Buchprüfern in
Verbindung gesetzt. Aber die stellen nur fest, ob die Papiere vorhanden sind.
Der FBI-Mann hielt die Fälschungen für fast perfekt. Sie wurden nur entdeckt,
weil die Firmen, die die Aktien ausgegeben haben, andere Seriennummern
verwendeten.“
    Ich seufzte. Wahrscheinlich mußte ich noch mit dem
ehemaligen Prior, dem Kollegvorstand und dem Finanzbevollmächtigten reden.
Carrolls Vorgänger befand sich für ein Jahr in
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