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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche
Autoren: Sara Paretzky
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Offenbar stand ich völlig unter dem Eindruck meiner Begegnung mit
Rosa; denn wie wäre ich sonst zu dem Alptraum gekommen, zu der Vorstellung,
ich könnte mir den Schädel einschlagen, zu der tristen Melodie? Sollte Rosa
endgültig die Oberhand gewinnen? Energisch massierte ich Shampoo in mein Haar
und wechselte zu Brahms über, obwohl mir seine Lieder mit wenigen Ausnahmen
nicht gefallen. „Meine Liebe ist grün wie der Fliederbusch“ ist jedoch von
einer Heiterkeit, die beinahe weh tut.
    Nach der Dusche suchte ich meine Garderobe aus.
Gereift und würdevoll wollte ich aussehen, und das hoffte ich mit meinem
marineblauen Kostüm - dreiviertellange, doppelreihig geknöpfte Jacke und
schicker Faltenrock — zu erreichen. Ergänzt wurde der Aufzug durch einen
Seidenpulli in hellem Gold, fast im selben Ton wie meine Haut, und einen langen
hellrot und marineblau gemusterten Seidenschal, abgesetzt mit dem Goldton des
Pullovers. Farblich passendes Make-up und zehenfreie italienische Pumps gaben
dem Ganzen den letzten Schliff.
    Das Frühstücksgeschirr wanderte zu dem anderen
schmutzigen Geschirr in den Ausguß. Aber das Bett blieb ungemacht, und die
Kleider lagen kunterbunt umher. Vielleicht sollte ich mein Geld lieber für eine
Haushälterin ausgeben statt für italienische Mode? Oder, noch besser, für eine
Hypnosebehandlung, um mein gestörtes Verhältnis zu Ordnung und Sauberkeit
wieder ins Lot zu bringen? Ich frage mich nur, wozu.
     
    3 Der
Predigerorden
     
    Die Eisenhower-Schnellstraße ist die wichtigste
Ausfallstraße, die in die westlichen Vororte Chicagos führt. Selbst an warmen,
sonnigen Tagen wirkt sie wie ein Gefängnishof mit den heruntergekommenen
Häusern und den gesichtslosen Bauten links und rechts neben den achtspurigen
Fahrbahnen, die tief unten wie Canyons zwischen Lärmschutzwällen liegen. Auch
um drei Uhr morgens ist dort noch allerhand los. Aber um neun an einem
Wochentag, noch dazu bei Matschwetter, herrscht hier das absolute Chaos.
    Ich spürte die nervöse Spannung in meinen
Nackenmuskeln, als ich im Schneckentempo dahinschlich. Mich mit einem wildfremden
Menschen über die Schwierigkeiten zu unterhalten, in die meine verhaßte Tante
geraten war, hatte ich nicht die geringste Lust. Aber nun saß ich deswegen
noch stundenlang im Verkehr fest und erfror mir in meinen offenen Pumps die Zehen,
weil die Heizung in meinem kleinen Omega nicht funktionierte.
    Der Verkehrsfluß normalisierte sich in Höhe der
First Avenue; viele Büroangestellte hatten dort ihr Ziel erreicht. Ich nahm
die nördliche Ausfahrt zur Mannheim Road und folgte im Zickzackkurs Alberts
flüchtig skizziertem Plan. Fünf nach zehn stand ich endlich vor dem
Klostereingang. Meine Laune wurde durch die Verspätung nicht gerade besser.
    Zum Kloster St. Albertus Magnus gehörte ein großer
neugotischer Bau am Rande eines herrlichen Parks. Offenbar hatte der Architekt
geglaubt, dieses Gebäude müsse einen Gegensatz zur Schönheit der Natur bilden;
drohend und düster lag das graue Gemäuer hinter dem Schneeschleier. Ein kleines
Schild mit der Aufschrift Kolleg wies auf
den nächstliegenden Betonblock. Als ich vorbeifuhr, huschten einige Männer in
langen weißen Kutten hinein. Mit den tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen sahen
sie wie mittelalterliche Mönche aus. Sie nahmen keine Notiz von mir.
    Ich parkte in der kreisförmigen Auffahrt und hastete
zum nächsten Eingang. Ein Schild verkündete schlicht: Sankt-Albert-Kloster.
    In dem Gebäude herrschte die ein wenig unheimliche
und zugleich beschauliche Atmosphäre wie häufig in kirchlichen Institutionen.
Man ahnt, daß die Menschen dort viel beten, sich aber vielleicht auch oft
langweilen und gedrückter Stimmung sind. Über der Eingangshalle verlor sich
eine Betonkuppel im Dämmerlicht. Marmorfliesen verbreiteten zusätzliche Kälte.
Von der Halle führte ein Korridor im rechten Winkel in den Klosterbereich.
Meine Absätze klapperten laut. Hinter einem schäbigen Holzschreibtisch in einer
Nische vor dem Treppenaufgang saß ein magerer junger Mann in Straßenkleidung
und las in Charles Williams' Greater Trumps. Widerwillig
legte er das Buch aus der Hand, nachdem ich ihn ein paarmal angesprochen hatte.
Sein Gesicht war ungewöhnlich hager. Er schien sich in fanatischer Askese zu
verzehren - doch möglicherweise litt er auch nur an einer Überfunktion der
Schilddrüse. Immerhin beschrieb er mir in gehetztem Flüsterton den Weg zum
Büro des Priors und vertiefte sich danach gleich
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