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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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und mit ihnen viele namhafte Münchner Künstler »Schluß zu machen mit dem bürokratischen Faschingsrummel und der geschäftstüchtigen Humorindustrie«.

    Der erhoffte Spaß zeugte laufend Ideen. Parodistisch-korrekt brachten wir am Siegestor Plakate an. Stadteinwärts:
    Sie verlassen den demokratischen Faschinssektor
    und stadtauswärts:
    Sie betreten den demokratischen Faschingssektor.
    Am Ort der Proklamation der Republik, dem ehemaligen, vom Krieg verschonten, erst der Zerstörung durch den Wiederaufbau zum Opfer gefallenen Pavillon des Prinz Leopold-Palais an der Leopoldstraße zierten kernige Parolen die Wände.
    Kein toilettäres System! Nur Prinzenabtritt! oder Verordneter Humor ist keiner! und so weiter.
    Mit Kreissägen behütet betraten wir Revoluzzer am Abend den Saal. Mehrere jubelten uns zu. Für Gedränge von Republikanern war es noch zu früh. Später aber konnte die Proklamation nicht stattfinden. Wir hätten genau das getan, was wir beanstandeten: die Ballnacht gestört. Die ge wollte Wende gründlicher vorzubereiten, verbot uns unsere Verfassung. Organisierter Humor kann nur unorganisiert angegriffen werden.
    Ohne feststehende Reihenfolge teilten wir uns in die Regierungserklärung. Jeder sagte, was er kundtun wollte und strapazierte die demokratischste aller Vokabeln, das Wörtchen fordern.
    Walter Kiaulehn forderte — ganz Revolutionär — den Kopf des Faschingsprinzen. Seine Formulierung ist mir im Gedächtnis geblieben: »Höflich bis zum Schafott. Aber geköpft wird doch .« Den Seitenhieb einer Zeitung auf die Nicht-Bayern im Aktionstribunal parierte er nebenbei: »Es liegt im Prinzip des Zureisens, daß man einmal ankommt. Jeder Zuagroaste will heimisch, will Einheimischer werden. Das haben am besten die Wittelsbacher bewiesen .«
    »Im Namen aller humorentmündigten Münchner«, forderte Werner Finck, man müsse verhindern, daß der Gegner, die Faschingsgesellschaft Narrhalla, mit ihrer chronischen Witzlosigkeit die ganze Stadt stört. Die Prinzengarde müsse nicht mehr einziehen, sondern eingezogen werden, zumal sie erst nach den vielen Friedericus Rex-Filmen entstanden sei. Leider habe sie das Wort des alten Fritzen nicht befolgt: Kerls, wollt ihr denn ewig leben?
    Wir stimmten noch eine Hymne auf die Faschingsrepublik an, wie sich das für stramme Revolutionäre gehört, und forderten zum Mitsingen auf. Fürs erste war das genug. Am nächsten Abend wollten wir bei einem Prinzeneinzug rebellieren. Es ging uns darum, das Pulver nicht sofort zu verschießen, sondern die Maßnahmen langsam zu steigern. Bis zum Aschermittwoch. Nachdem alles gesagt war, traten wir ins maskierte Privatleben zurück — wir tanzten. Es handelte sich ja um einen Faschingsabend. Und wie es da so geht, zerstreuten wir uns, zogen weiter auf andere Bälle. Freiwillig. Seine Tollität Albrecht I., von Beruf Juwelier, zog auch von Ball zu Ball. Dienstlich. Bis der Verplante den letzten Prinzenwalzer getanzt, den letzten Orden verliehen hatte, war Mitternacht vorüber. Doch Albrecht Heiden, von Freunden Burschi genannt, drängte weiter, feindwärts. Er wollte seinen Thron verteidigen, um unsere Kritik zu entkräften, am liebsten mit Humor.
    Durfte er das?
    Seine Tollität zog es vor, sich zu erkundigen. Nach Rücksprache mit dem damaligen Narrhalla-Chef — zivil ein Chef im Übernachtungs- und Bewirtungsgewerbe — erhielt er die Erlaubnis, mit verkleinertem Stab und verkleinerter Garde ins Proklamationspalais zu marschieren. Bei der etablierten Organisation hieß das, er fuhr, von Funkstreifenwagen eskortiert, mitten durch das Siegestor, was sonst keiner darf. Nicht einmal im Fasching.
    Wir lasen darüber anderntags in der Zeitung:

    Am Mittwochabend um 22 Uhr wurde im Studio 15 in Schwabing die Münchner Faschingsrepublik ausgerufen. Die Revolutionäre riefen begeistert »Nieder mit dem Prinzen«!
    Vier Stunden später — um 2 Uhr — tauchte im Studio der Faschingsprinz mit Prinzessin und Hofmarschall auf, und die frischgebackenen Republikaner riefen begeistert »Hoch lebe der Prinz«!
    Ein Aktionstribunal, dem Oliver Hassencamp, Werner Finck, Walther Kiaulehn, Erich Kästner und Siegfried Sommer angehören, hatte den Sturz des Prinzen seit einigen Tagen vorbereitet. Als der Prinz im Studio auftauchte, waren die Mitglieder des Aktionstribunals bereits wieder verschwunden. Der Prinz war von dem begeisterten Empfang überrascht und sagte: »Ihr seid mir die richtigen Republikaner .« Die scharfen Kreissägen,
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