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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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Staat handelt.«
    Daß ein Staatsminister davon hörte, mag Zufall gewesen sein. Um so gezielter war seine Antwort:

    »Die Demokratisierung des Rundfunks ist nur darauf abgestimmt, das Volk vor der Regierung zu warnen. Damit erzieht man eine Anarchie des Volkes, die auf die Dauer den Bestand des Staates untergraben muß. Es ist an der Zeit, dieser Entwicklung entgegenzutreten !«

    Kommentar:
    Bei vorliegendem Text handelt es sich — so unwahrscheinlich das anmuten mag — nicht um Sience fiction von Ludwig Thoma. Der Vorschlag wurde 1949 tatsächlich gemacht.
    Ideenfeind im Kabinettsrang war der Restaurator und Schwarzmaler Dr. Alois Hundhammer. Sein Kinnbart galt damals als Erkennungszeichen für altvaterische Rückschrittlichkeit. Seine Denkweise dagegen beschleunigte die befürchtete Demokratisierung. Unfreiwillig hat er sich um das Vaterland verdient gemacht. Und um das Kabarett — eine seltene Union.

    November 1955

    Prinz Franz von Bayern siedelt in den nächsten Tagen zur Fortsetzung seines Jurastudiums von Schloß Berg nach Schloß Nymphenburg über.

    Kommentar:
    Sozusagen das Gegenteil von Millöckers Bettelstudent und Beweis für den Aufschwung im Freistaat. Kein Mangel an Schlaf- und Studienplätzen. Für einen Bayern.

    3. Februar 1954

    Die Zeitschrift »Madame« veröffentlicht in einer Reportage über Schwabinger Leben ein Oktoberfestfoto der beiden Karikaturisten der Süddeutschen Zeitung, Ernst-Maria Lang und Ernst Hürlimann, mit dem Bildtext: »Auch Fernfahrer sind vertreten«.

    Kommentar:
    Der Psychophysiognomik, nach Carl Hüter die Wissenschaft, vom Äußeren auf das Innere zu schließen, an Körper, Gesicht und Ausdruck Charakter, Talente und Tätigkeit abzulesen, wurde hier nicht bemüht. Sonst hätte man bemerkt, daß der Umgang mit dem Zeichenstift andere Züge prägt, als der Umgang mit Schaltknüppel und Handbremse. Um Irrtümer zu vermeiden, beschriften Bildreporter ihre Schnappschüsse.
    Hat der Redakteur seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt? Vermutlich durfte Schwabing nicht nach elitärem Künstlerviertel aussehen. Der Trend zum Sozialen mußte durchschimmern und sei’s auf Kosten der Richtigkeit — ein Beispiel, das Schule machen sollte.

    15. Januar 1954

    Erich Kästner machte bei der Geburtstagsfeier für den Schriftsteller Wilhelm Herzog den Vorschlag, die Herzog-Wilhelm-Straße in Wilhelm Herzog-Straße umzubenennen.

    Kommentar:
    Obwohl aus Scherz oft Ernst wird — man braucht ihn nur falsch zu verstehen — geschah in diesem Fall nichts. Vielleicht dachte der zuständige Beamte, der eine sei in der Bevölkerung so unbekannt wie der andere.

    22. Oktober 1955

    Generalkonsul Herbert G. Styler bediente sich im »Weichandhof« selbst, da die ganze Belegschaft mit einer Hochzeit voll beschäftigt war.

    Kommentar:
    Daraus sollte nicht geschlossen werden, der Generalkonsul habe der Einfachheit halber auch gleich das Hochzeitsmenü mitgegessen. Bei allem Entgegenkommen wahrte er doch stets Distance.

    16. November 1955
    Bei einem Abend im Hause des Rechtsanwalts Dr. Fritz J. Berthold las Joseph-Maria Lutz aus seinen Werken, die Weilheimer Vier sangen und Thomas Wendlinger spielte bayerische Volksmusik. Unter den Gästen befanden sich Staatsminister Friedrich Zietsch, Staatssekretär Joseph Panholzer, Dr. Alois Hundhammer, Staatsintendant Prof. Rudolf Hartmann, die Regisseure Willi Forst und Franz Antel, Fred Kraus und Hannelore Bollmann.

    Kommentar:
    Solche buntgemischten Gesellschaften sollte Freund Fritz nicht mehr lange geben. Sein Berufsethos kollidierte mit Parteiinteressen — wie er’s umschrieb. Seine spektakuläre Verhaftung mit Fernsehen und Presse markierte für viele eine Wende zum Wundern. Zivilcourage wurde Störfaktor, die politischen Sitten begannen schon wieder zu verfallen.

Bieridee

    Jedes Jahr in der Fastenzeit nach dem Fasching versammelt sich in München die einheimische Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Erfolgsgewerbe, etwas Wissenschaft und etwas Kultur, angereichert mit namhaften Zugereisten, die als dialektkundig und damit bayrophil gelten, in der Paulaner-Brauerei. Anlaß ist der Anstich des Salvators, des Fastenbiers, einem hochprozentigen Gebräu, hervorragend geeignet, das Weltgeschehen zur rosa Zeitlupe zu verklären, keineswegs aber zum Fasten.
    Die Salvator-Probe findet am Vormittag statt. Im Bierdunst, bei Blasmusik, Weißwürsten, Radi und sämtlichen Spezialitäten des Landes prüfen die Geladenen den dunklen Gerstensaft auf seine
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