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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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winziger Parteifreund von der Bayernpartei, Innenminister August Geislhöringer; die beiden letzten königlich-bayerischen Sozialdemokraten, Regierungschef Wilhelm Hoegner und Waldemar von Knoeringen; den Bundesminister Fritz Schäffer aus Bonn, den »Ochsen-Sepp« Joseph Müller, den Oberbürgermeister Thomas Wimmer von der Noch-nicht-Millionenstadt, Kultusminister August Rucker, Wirtschaftsminister Otto Bezold, Justizminister Fritz Koch, die ganze Spezi-Spezies vorn auf den Ehrenplätzen, und sah sie plötzlich anders.
    Dank meiner Rolle als Berufskollege glaubte ich zu verstehen, woher diese so unterschiedlichen Führungskräfte auch in fortgeschrittenen Jahren die Reserven nehmen, um, offenbar schadlos, eine Hundertstundenwoche an die andere zu reihen:
    Sie schöpfen aus dem Jungbrunnen der Macht. Sie kreisen als omnipotente Narzisse ständig um sich selbst, spiegeln sich in der Menge, deren Mittelpunkt sie sind, wo immer sie hinkommen. Spiegelbilder ermüden nicht, der rote Teppich klebt ihnen an den Sohlen, sie schreiten voran, eröffnen, weihen ein, legen den Grundstein, den Kranz nieder, pflanzen den Baum, ermuntern die Zögernden, weisen den Weg zum Guten, zum Besseren und zum Besten ihrer Karriere.
    Keine Alltagsmühsal zerrt an ihren Nerven, der Wagen steht bereit, das Flugzeug, der beste Platz, das beste Bett, das feinste Essen. Kein Koffer behindert den Gruß an die Menge, keine Aktentasche. Sie strecken die Arme nach rückwärts, schon ist der Mantel da, sie öffnen ihn, schon wird er abgenommen. Ohne Blick reichen sie den Hut zur Seite; die Hand kommt, ihn entgegenzunehmen, während ein Referent Daten souffliert, die sie sogleich mit fester Stimme verkünden werden.
    Trotz überquellender Terminkalender haben sie mehr Zeit als andere, Zeit, um gleichsam nahtlos von Essenz zu Essenz zu flattern. Sie brauchen keine Uhr, kein Bargeld, keinen Schirm. Überall sind Helfer zur Stelle, um sie weiterzurollen wie auf Schienen, zur Rede, die andere für sie verfaßt haben, zur Unterzeichnung. Abschließend beim Händedruck lächeln sie fürs Foto. Leben sie überhaupt in der Welt, die sie regieren? Man soll Äußerlichkeiten da nicht unterschätzen. Ihre Polemiken gegeneinander sind Theaterdonner fürs Volk. Danach sitzen sie zusammen, hinter verschlossenen Türen, Tage, Nächte, beim Poker um Zentimeter von Macht. Der Einsatz gipfelt in der eigenen Person — für Spielernaturen das sinnlichste Risiko. Der Sieger läßt sich bejubeln, stellt eine Weiche, delegiert die Arbeit. Die andern mischen indes die Karten für das nächste Spiel.
    Mit den weitausholenden, kontemplativen Armbewegungen des schwäbischen Landesvaters ruderte ich aus der Gedankenerleuchtung im noch andauernden Beifall ans Mikrophon. Ein Proberäuspern schaffte Stille.
    Vorab gab der Bundespräsident seine Freude kund sowie die Ehre, als alter schwäbischer Weintrinker ein bayerisches Starkbierfest eröffnen zu dürfen. Er könne sich dabei eines gewissen protestantischen Lächelns nicht erwehren. In sattem Bariton verglich er sodann das Gewerbe des Winzers mit dem des Politikers und zog für beide den Schluß: Im Wein liegt Wahrheit. Der Schwindel liegt im Etikett.
    Über den Maßkrug, der ihm gereicht wurde, peilte der erste Mann im Staat einige Politiker zu knapper Zwiesprache an; die solchermaßen Geehrten ließen ihren Humor dröhnen. Dem umstrittenen Bayernparteichef im lockeren Grauhaar spendete er Trost: In Württemberg braucht man keine Bayernpartei. Dort ist man auch ohne Parteibuch schwäbisch. Nach langem, bedächtigem Schluck aus dem Maßkrug auftauchend, nickte der hohe Gast dem Ministerpräsidenten zu. »Jaja. Wer hätte das gedacht — Kollege Hoegner! Aber in Bayern ist mir eigentlich jede Regierung recht. Bei dem Föhn und dem Bier passiert nix .«
    Unter Beifall und Tusch verließ sodann der Bundespräsident in würdiger Haltung den Saal.
    Mit diesem präsidialen Auftritt beendete ich meine Bühnentätigkeit. Kabarett war für mich nicht der Platz, um zu ergrauen. Kabarett bedarf studentischer Frische. Der Elan soll biochemisch begründet sein; Amateurstatus; nicht ironisches Gewissen der Nation auf Frischzellenbasis. Das Gefühl, jetzt sei es genug, trog nicht nur bei mir nicht. Erst später merkt man, daß eine persönlich glückliche und erfolgreiche Zeit im größeren Zusammenhang mitschwingt. Unser Nachholbedarf war gestillt. Überschäumende Lebensfreude, spontane Herzlichkeit, die naive Lust am Improvisieren erlahmten
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