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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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im Mahlsand des Fortschritts.

Recht auf Heiterkeit

    Hassencamp stürzt Faschingsprinz — diese Schlagzeile auf der Titelseite der Münchner Abendzeitung Anfang Februar 1956, im Hochfasching also, sollte eine Dauergaudi verheißen, mit absehbarem Ende am Aschermittwoch.
    Die Idee hatte lange brachgelegen. Wie schon betont, langweilte das jährliche Fröhlichkeitszeremoniell des etablierten Narrenkartells nicht nur mich. Kam einer der großen öffentlichen Bälle gerade in Schwung oder lief bereits auf Hochtouren — der Seeräuber hatte seine Haremsdame gefunden, der Onkel im Ringeltrikot grabschte nach einer femme fatale, die Bajadere schwankte noch zwischen zwei Scheichs — da wurde das kollektive Tändeln jäh unterbrochen. Marschmusik schmetterte die Sinnenfreude nieder, prächtig aufgepfaut zog das Prinzenpaar ein, mit Hofstaat und schenkelstrammer Garde wie in einer Militäroperette. Ein opulentes Bild, gewiß, leider zur Unzeit.
    Man interrumpiert kein erotisch-rhythmisches Bacchanal mit materialischem Ritual, das obendrein schon jeder kennt. Werfen Gardemädchen ihre Beine noch so hoch, sie blockieren die persönlichen Aktivitäten, degradieren kreative Maskerer zu Touristen. Was soll der arme Prinz, von Großkaufleuten gewählt, seinem närrischen Volk, das ihn nicht kennt, in seiner Ansprache denn Mitreißend-Komisches erzählen, wenn er nur hereinplatzt in fremde Bälle x-mal am Abend, ohne Zeit, sich auf die spezifische Stimmung einzustellen? Er kann sie nur töten. Und Seine Tollität tut es, muß es tun, mit einem der verläßlichsten Frohsinnskiller: er verteilt Orden an die Elite angeblich humorbesonnter Bürger.
    Bei uns galt die geballte Faustregel: Je gelungener das Fest, desto störender der Prinzeneinzug.
    Was hat Konvention im Fasching verloren? Mußte Adenauers These Nur keine Experimente auch in der fünften Jahreszeit gelten?
    Eine Störung der Störung schwebte mir vor, eine parodierte Revolution mit wechselndem Glück, täglich neuen Aufregungen und veralberten Kampfmaßnahmen. Erbittert sollte es zugehen, Spaß um Spaß, in faschingsmäßigem Rollenspiel zur Belustigung der Allgemeinheit.
    Ich fand humorpotente Mitstreiter, Männer mit dem nötigen Ernst für eine vorbildliche Gaudi. Erich Kästner, Werner Finck, Walter Kiaulehn und als einzigen Münchner Siegfried Sommer. Der Architekt und politische Karikaturist Ernst Maria Lang entwarf das für eine ordentliche deutsche Revolte unerläßliche Emblem, wir formulierten einen ersten Aufruf und gaben ihn in Druck

    Genug geprinzelt! Es hat sich ausgegardelt!
    Die Faschingsrepublik ist ausgerufen!
    Ein Häuflein entschlossener Männer hat das Steuer herumgeworfen. Jetzt ist es endlich soweit! Es gibt keine Tollität mehr, nur noch Tolleranz. Der Freistaat Schwabing ist zur Faschingsrepublik erklärt worden! Alle Funken-, Prinzen- und andere Garden haben sich mit sofortiger Wirkung als entwaffnet zu betrachten. Sämtliche Jungelfer gehören um neun Uhr ins Bett!
    Organisierter Humor ist tierischer Ernst!
    Wer sich jetzt noch von volldilettantischen Humorgesellschaften langweilen läßt, handelt gegen jedes Volksvergnügen und wird als Provokateur rücksichtslos ausgelacht!
    Wir sind zum Äußersten entschlossen! Tausende von Begeisterungsschreiben sind bereits bestellt und nicht mehr rückgängig zu machen.
    Wir erwarten Sie am 8.2. 56 um 20.30 Uhr im Studio 15 zur Entgegennahme der Regierungserklärung der Faschingsrepublik Tolleranzia.
    Das Aktionstribunal:
    Werner Finck Oliver Hassencamp Erich Kästner
    Walther Kiaulehn Siegfried Sommer

    Masken-, Visier-, Wein- und andere unkomische Zwänge wie Ordentragen und Prinzenwalzer entfallen als endgültig überlebt.

    Das Echo auf diese erste Revolution mit Voranmeldung blieb nicht aus. Sie entzündete sich im Blätterwald. Sämtliche Münchner Zeitungen berichteten darüber. Da fand sich in einem Blatt unter der Schlagzeile
    Münchner Faschingsprinz soll zurücktreten,
    eine zweite: Faschingsrepublik von drei Zuagroasten ausgerufen! Wir jubelten. Diese Zurückstufung mit dem Scherzschimpfwort bayerischer Mir-san-mir- Apartheid war Öl ins brennende Gelächter. Und es gab Gleichgesinnte, wie wir nachlesen konnten.
    Unter der Überschrift Mit dem Rummel unzufrieden hieß es an anderer Stelle:

    ...ähnlich wie Die Gaukler, die sich heuer vom Münchner Fasching zurückgezogen haben, weil sie denselben in der heutigen Form strikte ablehnen, fordern die Unterzeichneten des »Aktionstribunals«
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