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Frische Spur nach 70 Jahren

Frische Spur nach 70 Jahren

Titel: Frische Spur nach 70 Jahren
Autoren: Stefan Wolf
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falsch!“,
sagte Karl.
    „Was?“
    „Deine Vermutung liegt total
daneben. Es gibt einen ganz anderen Grund für dieses seltsame Verhalten.“
    Jetzt staunten nicht nur Tim
und Klößchen, sondern auch Gaby, die ja ihre Infos aus erster Quelle hatte,
aber keine Erklärung wusste für die von den Räubern gewünschten Summen.
    „Steckst du mit B & C
unter einer Decke?“, witzelte Klößchen.
    „Das nicht gerade. Aber ich
weiß, dass B & C das alles schon einmal gemacht haben — nämlich 1929,
vor 70 Jahren.“
    Seine Freunde starrten ihn an.
    „Spinnst du?“, fragte Tim. Und
stellte erschrocken fest: kein Witz. Karl meinte, was er sagte. „Ist ja wohl
nicht dein Ernst, wie? Die beiden müssten an die 90 sein oder noch älter. Und
das sind sie bestimmt nicht — trotz der steifen Knie.“
    Karl grinste. Dann begann er zu
erzählen.

3. Hilde
findet Geld und Koks
     
    Hilde Nocke-Hallstedt — den
Namen Hallstedt hatte sie sich erst vor drei Jahren zugelegt, als
künstlerisches Anhängsel — befand sich an diesem Samstagvormittag in ihrem
kleinen Atelier, stand vor ihrer Staffelei und malte an einem Ölgemälde. Das
Bild einer Wiese war’s mit dem Titel Perlender Tau an einem Juni-Tag um 7.25
Uhr. Sie verwendete viel Blau. Sie liebte blaue Gräser. Hätte sie die Natur
erschaffen, wäre alles viel blauer geworden.
    Hilde war 80. Erst mit 77
Jahren hatte sie ihre Leidenschaft für die Malerei entdeckt, aber dann gleich
losgelegt wie eine Wilde. In zehn Monaten wurden 22 Gemälde fertig. Und der mit
ihr befreundete Inhaber der Gleiswerk-Apotheke hatte allesamt in seinen Räumen
— in der Apotheke — ausgestellt. Zwei wurden verkauft. Der Umsatz von Baldrian
und Augentropfen stieg. Hilde malte zwölf weitere Bilder und machte eine
Ausstellung im Café Rohrnudel. Dort wurde zwar nichts verkauft, aber die
Gäste — Rentner und Pensionisten — lobten die Kunstwerke. Im redaktionellen
Teil des kostenlosen Anzeigenblatts Verbraucher-Kurier wurde auf die
Ausstellung hingewiesen. Und die Künstlerin in Wort und Bild vorgestellt.
    Hilde war Lehrerin gewesen und
lebte auskömmlich von ihrer Pension. Das Haus am Reschner Weg 12 war ihr
Elternhaus. Gute Stadtrandlage. Hilde wohnte hier noch immer, hatte nie
woanders gelebt. In ihrer Jugend war sie hübsch gewesen. Es hatte auch etliche
Beziehungen gegeben — aber keine Ehe und keinen dauerhaften Lebensgefährten.
Wohl aber einen Sohn. Doch Peter und seine Frau Anna lebten nicht mehr. Vor 21
Jahren waren beide tödlich verunglückt. Seitdem hasste Hilde Motorräder —
besonders wenn zwei darauf sitzen.
    Klaus, damals vier, war ihr
Enkel. Sie hatte versucht ihm die Eltern zu ersetzen, hatte nichts fehlen
lassen an Fürsorge, Vernunft und Nestwärme. Trotzdem hatte sie das Empfinden, dass
ihre Erziehung nur halb geglückt war. Klaus war zwar kein Taugenichts, spielte
wundervoll Klavier und tat keiner Fliege was. Aber irgendwie kam er mit der
Wirklichkeit nicht klar, träumte sich die Welt zurecht, statt sie so
anzunehmen, wie sie ist, und zeigte — wenn es darauf ankam — wenig Ehrgeiz.
    Kein Abitur. In der 10. Klasse
hatte er die Schule geschmissen. Auch die Ausbildung bei einem Optiker wurde
abgebrochen. Aushilfs-Jobs in einer Musikalienhandlung. Dann endlich eine
abgeschlossene Ausbildung als Bankkaufmann. Aber kaum war er damit fertig,
begann er als ,Pianist’ — wie er es großspurig nannte — in einem Abendlokal.
Dort spielte er immer noch.
    Er wohnte bei ihr, hatte sich
zwei Zimmer im Souterrain ausgebaut, schlief oft bis mittags und hing dann rum,
war aber nicht ungefällig. Er hatte eine Freundin. Doch von dieser Barbara
hielt Hilde nichts, deshalb kam die junge Frau nur selten hierher.
    Hilde trat von der Staffelei
zurück und kniff kritisch die Augen schmal. Weil die blaue Wiese so leer war und
das mit den Tautropfen nicht die richtige Wirkung entwickelte, hatte sie kurz
entschlossen eine Kuh gemalt. Beinahe wäre es eine blaue geworden, aber
irgendwas erinnerte Hilde dabei an Werbung. Also wurde die Kuh ausnahmsweise
mal grün — und hielt eine feuerrote Blume im Maul. Eine Orchidee. Eine Orchidee
aus dem Regenwald. Diese künstlerische Freiheit nehme ich mir, sagte sich die
betagte Malerin.

    Wo blieb Klaus?
    Heute war er ziemlich früh
aufgestanden und seitdem in der Stadt. Sicherlich mit seiner Freundin. Hilde
hatte ihn beauftragt, dieses und jenes zu besorgen. Sie brauchte Butter,
frische Bio-Milch, Schollenfilets aus dem Fischgeschäft und etwas
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