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Frische Spur nach 70 Jahren

Frische Spur nach 70 Jahren

Titel: Frische Spur nach 70 Jahren
Autoren: Stefan Wolf
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zu Hause geblieben sind.
    Um nicht noch mehr Zeit zu
verplempern mit dem langen Rückweg ins noble Villenviertel am Stadtrand, wo die
Sauerlichs wohnen, blieb nur eine Möglichkeit zur Bargeld-Beschaffung: mit der
Scheckkarte am Geldautomaten. Denn dieser Service erstreckt sich zum Glück auch
auf Sonn- und Feiertage und die dunklen Stunden der Nacht.
    „Schrecklich, diese Zustände!“,
sagte Erna. „Es werden immer mehr Autos verkauft. Aber die Zahl der Parkplätze
nimmt eher ab. Weil so viel unnütze Gebäude entstehen. In der Zeitung stand: In
unserer Stadt gibt es viermal mehr Autos als Parktaschen. Wohin soll das noch
führen?“
    „TKKG biken“, erwiderte
Klößchen. „Du könntest mir auch gleich ein paar neue Biker-Schuhe kaufen. Und
ein neues Bike.“
    „Dein Fahrrad ist ja erst drei
Monate alt. Wenn du’s mal putzen würdest, könnte man das sehen.“
    „Lohnt nicht. Wird ja gleich
wieder dreckig. Tim düst durch jede Pampa und wir müssen mit.“
    „Aber er putzt sein Rad. Und
Gaby und Karl auch.“
    Klößchen beschloss, die
Unterhaltung nicht in diese Richtung auszudehnen, und blickte interessiert aus
dem Fenster. Wahnsinn!, dieser Auftrieb von Menschen und Autos! An einem
überfüllten Strand an einem südlichen Meer konnten einem die Urlauber Leid tun.
Aber dieser innerstädtische Andrang, dieses Rumhängen in Abgas-ummieften
Straßencafés — einfach abartig! Geradezu selbstquälerisch! Soll ja auch Leute
geben, dachte er, die sich high fühlen, sobald sie im Stau stehen.
    Vor dem Bankhaus Spinkler
& Kokäsch gab es 18 Parktaschen. 18 Wagen standen dort — und zwei
Motorräder.
    Erna hielt hinter den
Heckseiten eines Honda, eines Opel und eines BMW-Touring. Immerhin ist der
Jaguar ein ziemlich lang gestrecktes Fahrzeug. Dieser Platz war zum Halten
keineswegs günstig — Erna blockierte drei Wagen aber der fließende Verkehr
wurde nicht behindert, und solange sie am Lenkrad blieb, konnte sogar eine
mitleidslose Politesse ein Auge zudrücken.
    „Willi, dann musst du das
machen.“
    „Was denn, Mutti?“
    Sie kramte schon in ihrer
Handtasche. „Geld aus dem Automaten ziehen.“
    „Habe ich noch nie gemacht.“
    „Dann lernst du es jetzt.“
    Sie hielt die drei EC-Karten in
der Hand. Mit nachdenklichem Blick wurden die Nummern geprüft.
    „Es geht nur, wenn man die
Geheimnummer weiß, nicht wahr?“, fragte Klößchen.
    „Ja. Nur damit. Von der hier
weiß ich sie gar nicht. Von dieser nicht genau. Aber von dieser weiß ich sie.
Ja. 18-12. Kannst du dir das merken?“
    „18-12, 18-12, 18-12. Ich bau
mir ‘ne Eselsbrücke: sechs Tage vor Weihnachten. Gut, wie?“
    „Sehr gut, Willi. Man merkt,
dass du eine teure Schule besuchst.“
    Beide lachten.
    „Unser Bankhaus“, erklärte
Erna, „hat einen Vorraum. Dort...“
    „...steht auch der
Geldautomat.“
    „Richtig, Willi. Aber in den
Vorraum gelangt man außerhalb der Geschäftszeit nur, wenn der Kartenschlitz
neben der Tür mit der EC-Karte bedient wird. Dann öffnet sich die Tür
automatisch. Aber eben nur für Befugte. Sonst könnte ja jeder rein und Gesindel
würde dort sein Nachtquartier aufschlagen. Auf dem Bildschirm am Automaten
steht, dass du die EC-Karte einschieben sollst. Da ist nämlich auch so ein
Schlitz. Dann befiehlt der Bildschirm, dass du die Geheimnummer auf der
Tastatur eintippst. Nämlich?“
    „Sechs Tage vor Weihnachten.“
    „Welche Zahl ist das?“
    „6-24.“
    „Willi!“
    „War nur ein Spaß, Mutti“,
grinste er. „Ich tippe also 18 - 12.
Und dann?“
    „Dann werden dir auf dem
Bildschirm Beträge angeboten — verschiedene. Neben jedem Betrag ist eine Taste
zum Drücken. Du wählst 1000 Mark. Das reicht für deine Einlegesohlen und was
wir sonst noch brauchen.“
    „Für ein neues Mountainbike
reicht es nie.“
    „Das kriegst du auch nicht.
Also, beeil dich!“
    Klößchen stieg aus. „18-12, 18-12,
18-12 — Himmel! Hätte ich doch nur ein besseres Zahlengedächtnis.“ Grinsend
schlurfte er los.
    Erna Sauerlich lächelte und sah
ihm nach. Sie war stolz auf ihn, obwohl seine schulischen Leistungen unter
Durchschnitt waren — wegen Faulheit — und er unbedingt abspecken musste. Aber
er hatte ein Herz wie Gold und seine Freunde würden durchs Feuer für ihn gehen.
    Klößchen hatte inzwischen die
große, stahlgerahmte Glastür erreicht. Die war einbruchssicher. Daneben der
Kartenschlitz im Metall. Die Karte wurde gleich wieder ausgespuckt. Summend
öffnete sich die Tür.
    Klößchen spürte
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