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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder
Autoren: Sandra Duenschede
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noch eine Tasse Kaffee ein. Endlich kam er dazu, die Zeitung zu lesen. Wie erwartet, war die Leiche aus Ladelund Schlagzeile Nummer eins. Und natürlich brachten die Journalisten das im Ausland geborene Opfer vor der KZ-Gedenkstätte mit Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass in Verbindung.
    ›Rechter Terrorismus nun auch in Nordfriesland?‹, lautete eine der provokanten Überschriften. Die Zeitung hatte den Mord an Dr. Merizadi als Aufhänger genutzt, die rechte Szene im Norden wieder einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Einschlägige Mitglieder wurden benannt, Lesermeinungen abgefragt, Straftaten und Übergriffe auf Ausländer angeführt. Nazi-Gefahr bestünde auch im Norden – und die Polizei wüsste seit Langem davon.
    Das ist wieder typisch, ärgerte Thamsen sich. Natürlich würde man es abermals der Polizei in die Schuhe schieben, wenn gegen die braune Gefahr, wie die Zeitung die Neonazis nannte, zu wenig unternommen wurde. Aber was hatten sie für eine Handhabe gegen die Leute? Solange es keine Anzeigen gab, keine Beweise ihrer Taten, konnten sie nichts tun. Er bezweifelte ohnehin, dass es etwas bringen würde, Mitglieder oder sogar Anführer der Gruppen einzusperren. Vielleicht mochte es die Gemeinschaft schwächen, aber letztlich ging es nicht um den Einzelnen. Es ging um eine Ideologie, ein Gedankengut, das sich wie eine Seuche in den Köpfen gerade junger Menschen ausbreitete. Und die Konjunkturprobleme sowie die wachsende Arbeitslosigkeit waren dafür ein fruchtbarer Boden.
    Aber noch gab es überhaupt keinen Hinweis auf eine Verbindung zwischen den Neonazis und dem Mordopfer. Natürlich würden sie in diese Richtung Ermittlungen anstellen. Trotzdem durfte er andere Möglichkeiten nicht außer Acht lassen. Aus seiner jahrelangen Erfahrung bei der Polizei wusste er, dass oftmals nichts so war, wie es auf den ersten Blick schien. Vielleicht hatte der Täter die KZ-Gedenkstätte gerade deshalb gewählt, um ganz bewusst den Verdacht auf die rechte Szene zu lenken. Aber wer hatte einen Grund gehabt, den Arzt zu ermorden? Laut seiner Frau war er überall sehr beliebt gewesen. Beinahe zu harmonisch hatte sie das Verhältnis zu seinen Patientinnen und Mitarbeitern geschildert. Und auch innerhalb der Verwandtschaft sowie im Freundes- und Bekanntenkreis hatte es keinen Streit gegeben. Aber wieso hatte ihre Mutter sie immer wieder aufgeregt unterbrochen? Auf sein Nachfragen hin hatte die ältere Frau zwar immer nur den Kopf geschüttelt, aber merkwürdig war ihm dieses Verhalten dennoch erschienen. Was verschwiegen die beiden Frauen und warum?
     
    Haie trampelte bereits seit einer halben Stunde von einem Fuß auf den anderen und spähte dabei durchs Wohnzimmerfenster hinaus auf die Straße. Tom wollte ihn um 09:00 Uhr abholen und nun war es bereits zehn nach. Hoffentlich hatte er nicht verschlafen.
    Endlich hielt der silberne Wagen vor dem Haus und Haie schoss zur Tür. An der Klinke hing das Geschenk für Niklas. Haie hatte in tagelanger Eigenarbeit und mit der Unterstützung eines Nachbarkindes ein Bilderbuch für sein Patenkind erstellt. ›Hans Bär‹, das Märchen von Theodor Storm, hatte Haie ins Plattdeutsche übersetzt, und Maik, der Nachbarssohn, hatte ein Buch daraus gemacht mit Bildern und Fotos, die er im Internet gesammelt und mit Haie zusammengestellt hatte. Besonders Marlene würde sich über das Unikat freuen, denn sie liebte Theodor Storm, hatte sogar über den Dichter promoviert. Und da sie sich seit Jahren am Nordfriisk Instituut für den Erhalt der Sprache und Kultur in ihrer Heimat einsetzte, würde ihr die plattdeutsche Version des Märchens besonders gut gefallen. Am liebsten hätte Haie eigentlich eine friesische Übersetzung verschenken wollen, aber er sprach nur wenige Brocken Friesisch. Bei ihm zu Hause wurde stets Plattdeutsch gesprochen, und das bisschen Friesisch, das er hauptsächlich bei Gesprächen anderer Einheimischer aufschnappte, reichte bei Weitem nicht für die Übersetzung eines kompletten Textes. Allerhöchstens für die Überschrift: ›Hans Bear‹.
    »Na endlich«, begrüßte Haie den Freund, als er in den Wagen stieg.
    »Tut mir leid, aber ich war schon in Niebüll. Habe für Marlene noch ein paar Sachen besorgt und bei Sky war die Hölle los.«
    »Na ja, es ist Samstag. Die Leute erledigen ihren Wochenendeinkauf.«
    »Aber um diese Zeit?«
    Haie musste schmunzeln. Tom war ein Langschläfer und kannte das Leben vor zehn Uhr gar nicht. Aber das würde sich nun
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