Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder
Autoren: Sandra Duenschede
Vom Netzwerk:
und das Zepter an sich zu reißen.
    »So, Dirk, dann schieß mal los«, forderte der Ältere der beiden ihn auf, als wenn er derjenige wäre, auf den man gewartet hatte. Thamsen schluckte einmal kräftig, ehe er den Beamer startete und die Fotos vom Fundort an die Leinwand warf.
    »Der Tote heißt Dr. Farhaad Merizadi und …«
    »Das ist eine Katastrophe, Dirk«, unterbrach ihn der Husumer Kollege bereits nach den ersten Worten.
    »Ein Ausländer an einer jüdischen Gedenkstätte!« Er schaute Thamsen an, als sei der für den Fund verantwortlich.
    »Dr. Merizadi ist Deutscher. Er hat die deutsche Staatsbürgerschaft …«, Dirk schaute kurz auf seine Notizen, »bereits 1990 angenommen.«
    »Das ist doch völlig irrelevant!«, fuhr ihn nun Lorenz Meister, der andere Beamte, an. »Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass das ein Ausländer ist. So sieht doch kein Deutscher aus.«
    Thamsen spürte, wie ihm langsam, aber sicher der Hals zuschwoll. Am liebsten hätte er den anderen gefragt, wie denn seiner Meinung nach ein Deutscher auszusehen hatte. Eine Staatsbürgerschaft konnte man doch nicht am Aussehen festmachen. Aber seine private Meinung musste er für den Augenblick in den Hintergrund drängen, denn insgeheim wusste er, der Ausweis des Mannes spielte in diesem Fall tatsächlich keine Rolle.
    »Bisher gibt es keine Zeugen, aber zwei Kollegen sind noch in Ladelund und befragen Anwohner«, fuhr Thamsen daher in seinen Ausführungen fort.
    »Und was versprecht ihr euch davon? Der Fundort ist doch nicht der Tatort, oder? Was also sollte ein Zeuge gesehen haben?« Der ältere Beamte blätterte in den vorbereiteten Unterlagen herum.
    »Zum Beispiel, wer die Leiche wann dort abgelegt hat«, antwortete Dirk gereizt. Er wusste selbst, wie gering die Chance war, dass irgendjemand eine Beobachtung gemacht hatte. Die Gedenkstätte lag etwas außerhalb des Dorfes. Zudem hatte der Täter die Leiche nachts dort drapiert und da war es an diesem Ort nicht nur stockfinster, sondern in der letzten Nacht zusätzlich äußerst neblig gewesen. Aber irgendwo mussten sie ansetzen.
    »Wer hat denn die Familie benachrichtigt?«, fragte Lorenz Meister, der ihn am Morgen gebeten hatte, persönlich den Fall zu übernehmen.
    Ansgar Rolfs räusperte sich. Der Mitarbeiter war noch nicht lang im Team und dies war sein erster Kontakt mit der Husumer Kripo. Thamsen nickte ihm aufmunternd zu. Er hielt große Stücke auf den jungen Kollegen, der fleißig war und über ein außergewöhnliches Kombinationstalent verfügte. »Also, ich habe die Witwe aufgesucht«, meldete sich Ansgar Rolfs mit dünner Stimme zu Wort.
    »Ja und?« Der Kripobeamte beugte sich ein Stück vor.
    »Die Frau ist zusammengebrochen, ich musste einen Arzt holen. Wir können sie erst später befragen. Man hat ihr ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt. Die Leiche wurde daher von der Schwiegermutter identifiziert.«
    Der Husumer stieß ein verächtliches Zischen durch die Zähne. Thamsen konnte sich denken, was der Mann dachte. Am liebsten hätte er ihm die Meinung über sein unmögliches Verhalten gegeigt, aber das war, wie er wusste, nicht besonders sinnvoll. Früher hatte er kein Blatt vor den Mund genommen, aber da war es dann auch sein Vorgesetzter gewesen, der das hatte ausbaden und sich die Beschwerden über Thamsens unkooperative Art hatte anhören müssen. Nun war er leider selbst Chef und wusste, es war besser, jeglichen Streit und alle Diskussionen über das despektierliche Verhalten der Husumer zu vermeiden.
    »Ich fahr später selbst raus und befrage sie«, versuchte er daher, die Wogen zu glätten.

5.
     
    Nesrim Merizadi lag auf dem Sofa und lauschte dem leisen Gemurmel, das sie aus scheinbar weiter Ferne wahrnahm.
    Es war die Stimme ihrer Mutter, aber sie konnte nicht genau verstehen, was sie sagte. Sie öffnete langsam die Augen. Obwohl im Wohnzimmer nur die kleine Stehlampe brannte, schmerzten ihre Augen von deren Schein. Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war zu trocken. Sie räusperte sich. Sofort war ihre Mutter an ihrer Seite.
    »Kind, wie geht es dir?« Sie strich Nesrim über das lange dunkle Haar.
    Erst langsam kam die Erinnerung zurück. Die Erinnerung an das Läuten der Türglocke, den jungen Mann in Uniform, die Worte, die ihr ins Herz stachen. Es musste alles ein böser Traum gewesen sein. Sie war auf dem Sofa eingeschlafen. Aber was machte ihre Mutter hier?
    »Wo ist Farhaad?«
    Ihre Mutter beugte sich zu ihr und küsste ihre Stirn.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher