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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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beginnt schon mit dem Gang in die Leipziger Buchhandlung, ins Antiquariat des alten Rohn, doch diesmal flüstert dem Besucher ein Dämon zu, dieses Buch, das er in Händen hält, mit nach Hause zu nehmen – was er entgegen seiner Gewohnheit, Bücherkäufe schon aus Kostengründen zu überdenken, auch tut; dann schließlich die umgehende, tiefbewegte Lektüre des Schopenhauer’schen Hauptwerkes in seiner Sofaecke in der Abgeschiedenheit seines Zimmers. Thomas Mann und sein Romanprotagonist Thomas Buddenbrook werden die Umstände ihrer Schopenhauer-Entdeckung und Initiation später ganz ähnlich beschreiben. «Hier war jede Zeile», so schildert Nietzsche die Wirkung des «energischen, düsteren Genius» auf ihn, «die Entsagung, Verneinung, Resignation schrie, hier sah ich einen Spiegel, in dem ich Welt, Leben und eigen Gemüt in entsetzlicherer Großartigkeit erblickte. Hier sah mich das volle interessenlose Sonnenauge der Kunst an, hier sah ich Krankheit und Heilung, Verbannung und Zufluchtsort, Hölle und Himmel. Das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis, ja Selbstzernagung packte mich gewaltsam.» In Schopenhauer sieht Nietzsche den Denker und Weltweisen, den großen, unabhängigen Geist, der über die Kleinheiten seiner Epoche erhaben ist, unabhängig im Denken und unabhängig von Institutionen, jemanden, der Kunst, Erkenntnisstreben und Kontemplation auf begnadete Weise verbindet, den Radikaldenker mit dem unverbrüchlichen Willen zur Wahrheit – eine Gelassenheit schließlich, die dem unerschrockenen Blick hinter den Schleier der Maja in die unselige, heillose, immer wiederkehrende Welt des ziellos treibenden «Willens» als Konsequenz folgt. «Der Schopenhauersche Mensch» , schreibt Nietzsche mit einunddreißig, «nimmt das freiwillige Leiden der Wahrhaftigkeit auf sich, und dieses Leiden dient ihm, seinen Eigenwillen zu ertöten und jene völlige Umwälzung und Umkehrung seines Wesens vorzubereiten, zu der zu führen der eigentliche Sinn des Lebens ist.» Er sieht aber auch: «Der, welcher Schopenhauerisch leben wollte, würde wahrscheinlich einem Mephistopheles ähnlicher sehen als einem Faust – für die schwachsinnigen modernen Augen nämlich, welche im Verneinen immer das Abzeichen des Bösen erblicken. Aber es gibt eine Art zu verneinen und zu zerstören, welche gerade der Ausfluß jener mächtigen Sehnsucht nach Heilung und Errettung ist, als deren erster philosophischer Lehrer Schopenhauer unter uns entheiligte und recht eigentlich verweltlichte Menschen trat.» So weit war Nietzsche mit einundzwanzig in Leipzig noch nicht gekommen, doch die Weichen für sein eigenes Denken waren gestellt. Er hatte in Schopenhauer einen Gewährsmann gefunden, mit dessen Hilfe er sich der Moderne stellte und sie gestaltete. Das war die Summe seiner eigenen Selbstfindungsprozesse, vor allem aber seiner Verneinungen, die so ins Leere liefen und nicht einmal eine Rechtfertigung fanden. Sich selbst immer als erstes Opfer seiner erkannten Wahrheit preiszugeben, sieht er als vorbildhaft an diesem Vorgänger-Denker. «Ein glückliches Leben ist unmöglich» , zitiert er Schopenhauer, «das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf.» Das läuft bis zum Zitatende des Danziger Philosophen beinahe auf eine Laokoon-Tapferkeit hinaus, versteinert, aber «in edler Stellung» Schmerzen und Unglück zu trotzen, die sich ja doch im Nirwana am Ende auflösen würden. «Anleitungen zur Männlichkeit» bildete gleichsam ein Motto für Nietzsches Suche und Anknüpfungen. Was Arthur Schopenhauers biographischen Hintergrund angeht, so setzt Nietzsche da auf etwas einschlägige Weise Akzente. «So trat in seiner eitlen und schöngeisterischen Mutter jene Verschrobenheit der Zeit ihm auf eine fürchterliche Weise nahe. Aber der stolze und republikanisch freie Charakter seines Vaters rettete ihn gleichsam vor seiner Mutter und gab ihm das erste, was ein Philosoph braucht: unbeugsame und rauhe Männlichkeit.» Das ist eine misogyne Projektion à la Nietzsche und biographisch unhaltbar. Heinrich Floris Schopenhauer war zwar tatsächlich ein stolzer Republikaner und Kaufmann auf internationalem Terrain – kein Beamter und kein Gelehrter, wie Nietzsche in seiner Sehnsucht nach großer und weiter Welt und im vollen Bewusstsein des beschränkten kleinbürgerlich-pastoralen Milieus, in dem er selbst aufwuchs, so neidvoll betonte. Seine intellektuelle Begabung, die innere Weite und auch die Vitalkraft hatte Schopenhauer
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