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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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Werkedition begonnen (C.H.Beck, 1933–42), in der auch schon Kritik an der bisherigen Editionspraxis durchschimmerte. Da sie aber durch die Kriegsereignisse abgebrochen werden musste, blieben gerade die Nachlässe davon ausgespart. Spätere Nietzsche-Ausgaben (Schlechta 1954–56, E. F. Podach, Colli/Montinari) konnten aber auch auf diesen Anfängen und auf der ganzen Basler Gegentradition aufbauen. Den jahrzehntelangen Streit um eine chronologische oder (pseudo-) systematische Einteilung von Nietzsches Werken beendeten Colli/Montinari dadurch, dass sie, wie sie sich äußerten, in ihrer auf Vollständigkeit ausgerichteten Edition nicht darauf aus waren, Texte zu rekonstruieren, sondern Schreibprozesse zu dokumentieren.
    Nietzsche in der Kunst ist ein weiteres Thema. Nietzsche-Abbildungen und Nietzsche-Büsten finden sich allenthalben seit der Jahrhundertwende: auf Ölgemälden, Reliefs und Radierungen, Holzschnitten, Werbeplakaten, als Buchumschlag und als Zeitschriftencover, als Marmorgemme und Bronzeplastik, alles von Kunst bis Kitsch: Nietzsche in Denkerpose, Nietzsche im Priestergewand, Nietzsche mit Dornenkrone, Nietzsche als nackter Mann in den Bergen, Nietzsche als lorbeerumkränzter Dichter, knieend vor einer allegorischen Frauengestalt, die die Wahrheit verkörpert, Nietzsche als Zarathustra und Zukunftskünder oder mit den Zügen Leonardo da Vincis (Benjamin Gordon, 1938). Edvard Munch stellte ihn vor eine Bergkulisse mit einer Stadt bei Sonnenaufgang – selbst die Verortungen und die Zeitangabe sind Nietzsches prophetischem Hauptwerk entnommen. Mussolini spendete dem Nietzschehaus Weimar ein Jahr vor Kriegsende einen antiken Dionysos, den man dann in der «Villa Silberblick» aufstellte. Eine Auftragsarbeit von Georg Kolbe für eine Zarathustra-Aufstellung war im Vorfeld von Hitler abgelehnt worden. Doch auch moderne Künstler nehmen Nietzsche noch gerne ins Bild. Vorlage für die Arbeiten ist häufig Hans Oldes Photoversion.
    Auch in der Literatur hat der düstere Grenzgänger seine Spuren hinterlassen. Aber nur wenige Einzelne sind ihm gewachsen, werden ihm literarisch gerecht. Durch Thomas Manns Werk wandelt er durchgehend, allerdings auch in unverkennbarer Ambivalenz. Nietzsche gehört zur Sphäre von «Kreuz, Tod und Gruft», steht für Dekadenz- und Selbstüberwindung, für die Defensivkraft des Geistes, für die Einsamkeit des Erwählten, für Lebensferne und für das Unpolitische in spezifisch deutscher Manier – mit weitreichenden Folgen. Suspekt ist dem Autor von Anfang an die als inhuman empfundene «Lebensphilosophie», deren Vertreter schon in seinen frühen Novellen eine fragwürdige und krankhafte Note erhalten. Im «Doktor Faustus»-Roman, geschrieben im kalifornischen Exil während der dunklen NS-Zeit, findet schließlich Thomas Manns profundeste Auseinandersetzung mit Nietzsche statt. In der Figur des «deutschen Tonsetzers» Adrian Leverkühn wird das Schicksal des deutschen Geistes geschildert, der um des schöpferischen Durchbruchs willen, begierig nach großer Entgrenzung, einen Pakt mit dem Teufel schließt. Der deutsche Tonsetzer infiziert sich absichtlich mit Syphilis, um in rauschhafte Zustände des Gehirns zu geraten und sein Durchbruchswerk schaffen zu können innerhalb der ihm verbleibenden Frist bis zur endgültigen zerebralen Zersetzung. «Ein einsamer Denker und Forscher» , schreibt der Exilant Thomas Mann, «der aus Verlangen nach Weltgenuß und Weltherrschaft seine Seele dem Teufel verschreibt, – ist es nicht ganz der rechte Augenblick, Deutschland in diesem Bilde zu sehen, heute, wo Deutschland buchstäblich der Teufel holt?» Und – allgemein über Nietzsche: «Wahrlich, nach einer Gestalt, faszinierender als die des Einsiedlers von Sils Maria, sieht man sich in aller Weltliteratur und Geistesgeschichte vergebens um.» «Er war […] der weitreichende Gigant der nachgoetheschen Epoche» , äußert Gottfried Benn, der besonders von Nietzsches Ästhetik geprägt ist, 1950 in seinem Vortrag «Nietzsche – nach 50 Jahren». Nietzsche taucht bei Oscar Wilde auf und bei George Bernard Shaw, bei Marcel Proust, Guillaume Apollinaire, bei Jean Paul Sartre und Albert Camus, bei Franz Kafka, Paul Celan und bei Alfred Döblin. Kafkas Werk trägt unverkennbar Nietzsche’sche Züge, durchzieht es doch ein obsolet gewordener Wahrheitsbegriff, radikale Sprachkritik, die Ausgangserkenntnis vom Tod Gottes und aller bisherigen Sinnstiftungen, Selbstkreuzigung als Motiv und die
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