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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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Entstehung befindliche kritische Edition zu erstellen, die die für einen Autor wohl beispiellose Vorgeschichte der Werkeditionen mit Eingriffen, Textfälschungen, Manipulationen beendete. Von Anfang an hatte sich Elisabeths Nachlassverwaltung und der von ihr geleiteten Editionspraxis eine kritische «Basler» Gegenrichtung, ausgehend von Franz Overbeck, entgegengestellt. Overbeck distanzierte sich von Elisabeths Nietzsche-Archiv, und er weigerte sich, dem Archiv seine Nietzsche-Briefe und andere Materialsammlungen auszuhändigen. Im September 1901 antwortete er Köselitz auf dessen entsprechende Aufforderung: «Der Schatz meiner Nietzsche-Briefe bleibt mein aus schließliches, persönliches Eigentum. Was ich ihm nicht um meinetwillen, sondern um seinetwillen schulde, nämlich Erhaltung für die Mitwelt, weiß ich vollkommen, dazu brauche ich aber jenes Archiv nicht _ – ihn anderweitig zu versorgen, habe ich die ersten Schritte schon getan – das Nietzsche-Archiv ist vielmehr der letzte Ort der Welt, dem ich ihn überlassen werde.» Er ziehe es vor, fügt er später hinzu, sich «aus jeder Gemeinschaft in der Ausübung der von Frau Förster aufgenommenen Prophetenausgabe draussen und damit zugleich von mir jede Möglichkeit eines persönlichen Konflikts mit der Prophetin, so gut und so lange es nur geht, fern zu halten.» Frau Försters Eingriffe waren besonders in biographischer Hinsicht eklatant: Durch Kürzungen, Umstellungen und Umadressierungen von Briefen entwarf sie ein Bild ihres Bruders, das auch ihrem Stellenwert als geliebte und liebevolle Schwester, Mittelpunkt seines Lebens und legitime Nachlassverwalterin, gerecht werden konnte. Anderweitige Äußerungen, die etwa der frühere Archiv-Mitarbeiter Fritz Koegel heimlich im Archiv exzipierte, wurden vehement unterschlagen.
    Zusammen mit den Brüdern Horneffer brachte Köselitz 1901 die später zum Hauptwerk deklarierte angebliche Nietzsche-Schrift mit dem fingierten Titel «Der Wille zur Macht» heraus, eine Kompilation von Nachlass-Fragmenten nach einer Praxis, wie sie im Archiv durchweg üblich war, also mit Texteingriffen, Kürzungen, Passagenverschiebungen, Zwischentiteln. Der Overbeck-Schüler Carl Albrecht Bernoulli, der als Erster aus den Koegel-Exzerpten zitierte und später auch einen Rechtsstreit gegen Köselitz ausfechten musste _ – Köselitz ging 1908 gerichtlich gegen ihn und den zweiten Teil seiner Schrift über Nietzsches Freundschaft mit Overbeck vor und wollte auch die Publikation seiner eigenen früheren Äußerungen gegen Frau Förster-Nietzsche verhindern –, gibt eine zynische Äußerung Overbecks wieder, darauf Bezug nehmend, dass so viele frühere Helfershelfer und spätere Abtrünnige der Nietzsche-Schwester so auffallend früh das Zeitliche segneten, was der Patrona wohl durchaus zupass kam. «Overbeck bemerkte einmal» , so Carl Abrecht Bernoulli, «Frau Förster habe aus dem reichlich frühzeitigen Tode einer Anzahl wichtiger Gewährsmänner weidlichen Vorteil gezogen; ein gutes Stück ihrer Biographie sei vom Kirchhof aus geschrieben! Außer seinem eigenen ist besonders das Andenken von Dr. Ree und Dr. Fritz Koegel von dem Umstande gefährdet worden, daß sie für immer verstummt sind und sich selber nicht wehren können. Einer Ehrenrettung Koegels, die aus seiner handschriftlichen Hinterlassenschaft heraus zu erfolgen hätte, soll hier nicht vorgegriffen werden. Aber einiges ist unbedingt schon jetzt zu sagen. ‹Also noch eine Puppe mehr, die Frau Dr. Förster in der Unterwelt hat!›, schrieb Overbeck, als ihn über der Lektüre des Schlußbandes der Biographie die Nachricht von dem jähen Tode Dr. Koegels erreichte.» Koegel starb 1904, 44 Jahre alt. Er hat Lieder geschrieben, die in Sängerkreisen sehr beliebt waren, heißt es. Über hundert sogar. «Es scheint ihnen eine Zukunft beschieden zu sein» , stichelt Bernoulli. Aber es sind wohl nicht nur die Lieder.
    Der «Wille zur Macht», leibhaftig geworden in Elisabeth Nietzsche, schaffte es 1921 gar noch zu einer Ehrendoktorwürde, verliehen von der Philosophischen Fakultät der Universität Jena. Viermal (1908, 1911, 1914 und 1922) war sie für den Literaturnobelpreis nominiert. «Wie stand es nun» , fragt Bernoulli, «mit dem religiösen Einschlag, nachdem sich das Archiv so unzweideutig zu einem weltmännischen Hofstaat entwickelt hat? Daß man, wenn man unter sich war, mit der Christusparallele in aller Naivität kokettierte, steht fest; die Rollen der Apostel
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