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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
Autoren: Sabine Appel
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müßten, wenn sie an ihnen nicht konsequent vorbeiläsen.» Und schließlich, so der Rezensent, der im Wesentlichen mit Losurdo d’accord ist und den entpolitisierten Umgang mit Nietzsche seit Heidegger kritisiert, hätten die verschiedenen Facetten seiner Philosophie, Nietzsches Vernunftkritik, sein Immoralismus und sein Antichristentum, in seiner politischen Philosophie ihren gemeinsamen Grund. Sie seien als konsequente Begründung seines radikalen Aristokratismus und seiner Kritik der Moderne zu sehen. Männliche Herrenmenschen gegen die Annahme einer Gemeinsamkeit der menschlichen Natur, all das «antimodern» im Duktus, aber doch rational argumentiert – wie radikal, so Losurdo, kann ein Denken noch sein?
    Vielleicht nicht ganz unerheblich für den weiteren Verlauf des Umgangs mit Nietzsche nach 1900 ist die Tatsache, dass auch namhafte Vertreter des Kapitals – der schwedische Millionär Ernst Thiel, der Hamburger Kaufmann Konsul Christian Lassen oder der Zigarettenfabrikant Philipp Reemtsma für den Freundeskreis um das Archiv gewonnen werden konnten. Elisabeth Förster-Nietzsche hatte ein flächendeckendes Netzwerk geschaffen. Aus dem Archiv war 1908 eine Stiftung geworden, die aber nach wie vor unter ihrer Kontrolle sowie der ihrer Vettern Adalbert und Max Oehler stand, beide in der Folge bekennende Nationalsozialisten. Zunächst aber musste Elisabeth das Problem lösen, wie aus dem Bruder, der sich ja immer nur negativ über den deutschen Nationalismus geäußert hatte, ein Patriot zu machen sei. Elisabeth, die seine entsprechenden Negativäußerungen vor allem darauf zurückführte, dass es in Deutschland kaum ein positives Echo auf sein Schaffen gegeben habe, erfand in der allgemeinen Kriegseuphorie 1914 einen Nietzsche, der 1870 stimulierende Erfahrungen im Felde gemacht hatte – und die daraus hervorgehende Kriegsästhetik in den zitierten Passagen ist doch sehr einschlägig; man traut sie dem Philosophen bei seiner Liebe zu Detonationen und Donnergebraus wie auch militärischem Schneid durchaus zu. «Zuerst kam das Fußvolk im Laufschritt! Die Augen blitzten, der gleichmäßige Tritt klang wie wuchtige Hammerschläge auf dem harten Boden» etc. Selbst wenn diese Sätze tatsächlich von Nietzsche stammen, der ja nur einen Monat als Sanitäter peripher eingesetzt war und dann wegen Krankheit ausscheiden musste, so ist doch die Folgerung, die Elisabeth ableitet, quasi das Gegenteil der historischen Wahrheit: dass Nietzsche den militärischen Sieg Preußens und den Triumph Großdeutschlands befürwortet habe. Jedenfalls gab es 1914 eine Feldausgabe des «Zarathustra» – 150.000 Exemplare, wenn es auch etwas übertrieben sein mag, dass, wie es hieß, jeder deutsche Soldat den «Zarathustra» in seinem Tornister trug. War das Nietzsche-Archiv in den zwanziger Jahren noch ein Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen – darunter Thomas Mann, Oswald Spengler, Max Scheler, Heinrich Wölfflin, Martin Heidegger oder Romain Rolland –, so distanzierten sich doch die meisten von ihnen spätestens nach Hitlers Antrittsbesuch im Archiv am 31. Januar 1932 und den klaren Sympathiebekundungen der Archivleiterin und ihres Mitarbeiterstabs für Hitler und Mussolini davon. Oswald Spengler und Romain Rolland traten in den Folgejahren aus der Stiftung und aus der Vereinigung der Freunde des Nietzsche-Archivs aus.
    Schwierige Zeiten erlebten die Arbeit an Nietzsche, sein Nachlass und die Rezeption seines Werks nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland Ost und West. Im Kommunismus war Nietzsche weitgehend tabu, und westlichen Forschern standen die Archivalien, die ins Weimarer Goethe- und Schillerarchiv überführt worden waren, zwar seit den neunzehnhundertfünfziger Jahren theoretisch zur Einsicht offen, doch um die Realität dieser Einsichtnahmen und der entsprechenden Forschungen war es aufgrund ideologischer und institutioneller Einschränkungen durch das DDR-Regime doch etwas anders bestellt. Georgio Colli und Mazzino Montinari ließen sich in den sechziger Jahren dennoch nicht davon abhalten, das Unternehmen zu wagen, was auch bedeutete, viele Jahre in den Arbeiter- und Bauernstaat nach Weimar zu gehen, um die ultimative kritische Nietzsche-Ausgabe in ungeheurer Detailarbeit und mit großen Entbehrungen aus den vorhandenen Editionen und aus dem Nachlass zusammenzustellen. Bereits 1930 hatte das Nietzsche-Archiv unter der Leitung eines wissenschaftlichen Ausschusses mit einer historisch-kritischen
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