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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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während wir Kinder am Brathähnchen nagen, trifft er irgend jemand, mit dem er sich Witze erzählen kann. Wir sahen alle Karl-May-Filme mehrmals, Flori im Schlaf, die Brathähnchen hinterher waren gut und hatten knusprige Haut, und wir durften sie mit den Fingern essen, aber es kam nie jemand zum Witzeerzählen ins Restaurant; danach gingen wir wieder heim, und dann war der Spaß schon vorbei und war gar nicht so richtig ein Spaß geworden, weil es für den Vater langweilig war, seinen Kindern Witze zu erzählen, und für uns war es langweilig, Witze nicht zu kapieren, es hörte also irgendwann auf, aber immerhin hatte es eine Weile lang knusprige Brathähnchen mit Limonade gegeben und hinterher drei Bällchen Eis.
    Ich glaube, wegen dieser Brathähnchen kamen Wasa und ich auf die Idee zu hoffen, daß sie sich endlich einmal scheiden lassen würden; wir würden danach bei egal wem von ihnen sein. Wasa sagte, nach einer Scheidung kommt man immer zur Mutter, aber es war uns egal, bei wem wir dann wären, weil wir am Wochenende zum anderen kämen, und an den Wochenenden, dachten wir uns, gäbe es Brathähnchen, Limonade und Eis und im ungünstigsten Fall mindestens zwei Tage lang ein verschließbares warmes Badezimmer und Klo.
    Wir haben vor dem Einschlafen am liebsten davon gesprochen, wie es wäre, wenn sie sich scheiden ließen, und es uns immer neu ausgemalt; unsere einzige Befürchtung war, daß sie es machen würden wie im Doppelten Lottchen und Wasa und mich halbieren, weil wir unzertrennlich sein wollten, der Halbierungsgedanke beunruhigte uns sehr, aber dann sagten wir uns, daß die Zwillinge im Doppelten Lottchen ja bereits als Säuglinge halbiert worden waren, bevor sie etwas davon merken konnten, und wir waren schon halbwegs groß, uns könnte man so einfach nicht halbieren, wir würden uns wehren und Krach schlagen, notfalls im Treppenhaus so laut schreien, daß die Nachbarn es hörten und auf den Flur gelaufen kämen, um zu sehen, wer da so Krach schlägt, und vor all den Nachbarn würden die Eltern nicht wagen, Wasa und mich zu halbieren; höchstens Flori und uns könnte man zerteilen, also ein Drittel Flori und zwei Drittel wir; und irgendwann war auch Flori größer geworden und nicht mehr so leicht zu dritteln, aber sie ließen und ließen sich einfach nicht scheiden, obwohl sie andauernd davon sprachen. Wenn sie davon sprachen, schickten sie uns aus dem Zimmer, weil wir es nicht hören sollten; sie sagten, das ist nichts für Kinderohren, es ging eine Weile hin und her, manchmal wurde es laut, und dann konnte man jedes Wort hören, manchmal wollte die Mutter sich ein bißchen mehr scheiden lassen als der Vater, ein andermal wollte der Vater, aber die Mutter wollte lieber sterben als eine Scheidung, und anschließend holten sie uns jedesmal wieder rein und sagten, wir bräuchten keine Angst zu haben, sie ließen sich nicht scheiden, sie wollten nicht, daß es bei uns wäre wie bei den Osterlohs im ersten Stock mit ihren beiden Scheidungskindern, sie wollten es lieber noch einmal miteinander versuchen, anstatt ihren Kindern das anzutun, was die Osterlohs ihren Kindern angetan hätten; und manchmal umarmte der Vater die Mutter dann und faßte sie von rückwärts an den Busen, die Mutter kreischte ein bißchen, Wasa und ich sahen uns an und wußten, mit dem Brathähnchen sonntags und den drei Bällchen Eis würde es vorerst wohl nichts werden, aber wir gaben die Hoffnung nicht auf, und kaum waren wir in unserem Zimmer, kam die Mutter auch schon hinterher, sie fing an zu weinen und sagte, sie hätte es immer so schwer gehabt im Leben. Das Leben ist nicht gut zu mir gewesen, glaubt mir, sagte sie, und wir wußten, daß sie den Krieg, ihre Mutter, den Osten und den Vater, all das zusammen meinte, was ihr das Leben so schwermachte, daß es mit diesem Leben nun wohl bald vorbei sein würde. Aber an solchen Tagen war es wenigstens nicht wegen unserer Verdauung, sondern wegen der anderen vier Angelegenheiten, also konnten wir sie trösten und im stillen hoffen, daß sie nun endlich bald so weit wäre, sich scheiden zu lassen, anstatt früh zu sterben.
    An solchen Abenden sang die Mutter uns nach dem Ohrenputzen und Fingernägel-Vorzeigen deutsche Volkslieder vor: Sie sang am liebsten das Lied von dem Lindenbaum, der vor dem Tore steht; ich konnte sie gut verstehen, aber ich versuchte, nicht so genau zuzuhören, und merkte mir für später, daß ich meinen Kindern lieber nicht solche Lieder vorsingen würde.
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