Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
Vom Netzwerk:
acht, um ihr möglichst wenig Sorgen zu machen, aber so sehr wir uns in acht nahmen, es klappte immer nicht, weil wir zwar versuchen konnten, ihr möglichst wenig Sorgen zu machen und womöglich Sorgen aus dem Weg zu schaffen, aber sobald wir dachten, daß wir jetzt eine Sorge aus dem Weg geschafft hätten und es nun endlich weniger Sorgen wären, kam irgendwoher eine neue Sorge, die wir vorher nicht bedacht hatten, weil sie vorher vor anderen Sorgen noch nicht sichtbar gewesen war, aber jetzt plötzlich, nachdem die alte Sorge aus dem Weg geschafft war, war eben schon gleich eine neue da, und zu den Sorgen, die wir ihr aus Versehen machten, kamen auch noch all die anderen Sorgen, an denen wir gar nichts ändern konnten, weil wir sorglos und Kinder waren, die höchstens Sorgen machen können.
    Außerdem war der Schlüsselkrieg nicht einfach zu beenden. Der Vater hatte am Osten gemocht, daß es da Leute gab, mit denen er manchmal abends wegging und irgendwas unternahm, ohne Frauen, was Männer eben so machen ohne Frauen, also mindestens Witze erzählen, die Witze im Osten sind um Längen besser gewesen als die Witze hier im Westen, sagte der Vater, aber es braucht jemand dazu, mit dem man sich diese Witze überhaupt erst einmal erzählen kann, und um solche Leute zu finden, mußte er abends weggehen, also raus aus der Wohnung kommen. Männer sind in Witzen sowieso besser als Frauen, aber die Mutter war besonders ungeeignet für Witze, das wußten sogar schon Wasa und ich, dabei muß man zugeben, sagte der Vater, daß sie in gewisser Weise eigentlich sehr geeignet ist, weil sie jeden Witz, den man ihr erzählt, auf der Stelle wieder vergißt und man ihr jeden Witz beliebig oft erzählen kann, und sie lacht immer wieder; aber sie wußte eben selber keinen, weil sie jeden Witz sofort vergaß, und Witzeerzählen geht nur gegenseitig, außerdem lachte die Mutter nicht wegen des Witzes, sondern aus reiner Höflichkeit. Wasa sagte einmal, sie denkt, sie lacht, aber es ist kein wirkliches Lachen, wirkliches Lachen kommt von innen heraus aus dem Bauch. Wasa konnte so lachen, daß sie vom Stuhl fiel, und wenn ich nur sah, wie Wasa aus dem Bauch heraus lachte, daß es sie schüttelte, mußte ich mitlachen, bis ich selbst vom Stuhl fiel und mir alles weh tat. Wenn wir der Mutter einen Witz erzählten, lachte sie, aber das Lachen war nur um den Mund herum, und der Vater sagte, es macht keinen Spaß, jemand einen Witz zu erzählen, der aus Höflichkeit das Gesicht verzieht, und man muß sich fragen, ob er die Pointe vielleicht nicht verstanden hat oder nur einfach nicht gerne lacht. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich ein paar Jahre lang die Westwitze, die er tagsüber irgendwo hörte und die längst nicht so gut waren wie die Ostwitze, obwohl er fand, daß ein paar gute Kalte-Kriegs-Witze und ein paar brauchbare Präsidenten-Witze darunter waren, für später zu merken und aufzusparen, wenn Flori im Witzalter wäre, oder bis zur Wiedervereinigung, weil er dann seine Leute bei Familienbesuchen wieder treffen und all die Witze loswerden konnte, die er inzwischen hinter versperrter Wohnungstür aufgespart hatte. Natürlich wird jedem wirklichen Witzmenschen, der einen kleinen Sohn hat, die Zeit lang und sauer, bis der Sohn einen richtigen Witz kapiert, sagte der Vater, und an die Wiedervereinigung kann ein vernünftiger Mensch sowieso nicht glauben, also versuchte er eine Weile, Witze zu sammeln und für später aufzusparen, aber er ahnte schon, daß das keine Lösung war.
    In der Zeit stritten die Eltern sich wegen der Klo- und Badezimmerheizung, aber der Vater ließ die Schlüsselfrage, besonders die Sache mit dem doppelten Sicherheitsschloß, das von außen nicht zu öffnen war, erst einmal ruhen. Allerdings ist auch in Sachen Heizung nichts auszurichten gewesen, weil die Mutter befürchtete, sobald man die Heizung aufdrehte, würden sich schlagartig nicht nur die Kreislaufprobleme in der Familie vermehren, sondern auch noch gefährliche Keime, Bakterien, Bazillen, Viren, von denen es einstweilen nur in den Illustrierten im Arzt-Wartezimmer wimmelte, aber dann würde es auch in uns Kindern anfangen, davon zu wimmeln, und die Mutter war froh, wenn sie uns halbwegs keimfrei hatte, wenn schon besonders Wasa und ich immer etwas blutarm waren, und uns allen dreien lief dauernd die Nase.
    Eine Zeitlang versuchte der Vater, gelegentlich mit uns ins Kino zu gehen und anschließend in ein Restaurant. Wasa sagte, er hofft,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher