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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi
Autoren: Richard R. Roesch
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hatte ja auch der Gott der Lyriker mit zwanzig Jahren aufgehört zu dichten. Rimbaud war verstummt und nach Afrika gegangen. Mit vierzehn hatte er angefangen, mit zwanzig hatte er aufgehört, und er hatte Werke hinterlassen, die die Welt verbessert hatten, wahrlich verbessert. Tobias lächelte. Er war der Meinung, das Dichten war etwas für junge Leute, und jung kam Tobias sich schon lange nicht mehr vor.
    Er saß in der ersten Reihe und ließ die Laudatio über sich ergehen, die der hessische Ministerpräsident für ihn hielt. Aufgeschrieben hatte sie doch Tobias’ alter Verleger.
    Man applaudierte lange, bevor Tobias auf die Bühne gebeten wurde. Noch einmal ließ er sein strahlendes Jungenlächeln sehen, ehe er sein neustes Gedicht aus dem Gedächtnis vortrug:
    AH.
     
    Aus Frauen keine Mütter, soll die Welt nicht untergehen,
    doch ist es schon passiert, so ist’s um sie geschehen.
    Hiebe, Stiche, schnell, präzise: Überall auf Erden
    muss der Sohn vom Joch der Mutterschaft erlöset werden.
     
    Zu oft wurde in die Haut der Seele schon geschnitten,
    die man Sprache nennt, zu Vieles wurde stumm erlitten.
    Ab strich Rimbaud sie, ließ mitsamt der Stimme sie zurück.
    Sprach mit den Beinen, wanderte ins Wüstenglück.
     
    Ich ließ mitsamt der Stimme sie untergehen im nassen Licht,
    ich spreche mit den Händen, denn Händen widerspricht man nicht.
     

XXX
     
    »Hörst du? Hörst du? Hör genau hin! Das ist das Motiv, das verdammte Mordmotiv eines Serienkillers!«, flüsterte Pawel Kevin zu.
    Sie standen auf der Treppe des linken Eingangs und klatschten mechanisch mit. Alle neunhundertzweiundfünfzig Plätze waren besetzt, und sogar auf der Treppe standen noch Studenten und neugierige Mitarbeiter des Darmstädter Staatstheaters.
    »Wie meinst du das?«, fragte Kevin. »Ich höre nur Schwachsinn!«
    »Genau! Es geht nicht um Frauen, es geht um Mütter! Die ganze Zeit! Um Mütter von Söhnen. Er hat uns gerade das Motiv geliefert.«
    »Ich verstehe noch immer nicht.«
    »Später! – Ich kenne mich mit Gedichten aus, ich verehre Jessenin. Vertrau mir, Junge, nutze deine Chance! Jetzt! Sei der Erste! Los, verhafte ihn, wir verhören ihn in meinem Auto. Er wird uns das genaue Motiv nennen, und ich fress’ einen Besen, wenn es kein Motiv ist, das vernünftig klingt! Dieser Typ da, der ist alles andere als verrückt! Der hat einen Plan! Vertrau mir! Der hat einen Plan, aber Verrückte haben nie einen Plan.«
    »Oh Mann, Pawel Höchst aus Nordrussland, ich setze jetzt meine ganze Zukunft auf eine Karte. Auf dich! – Eigentlich müsste ich das BKA informieren.«
    »Später! Das dauert zu lange. – Du kannst jetzt nur gewinnen! Kevin, los, komm!«
    Im Stil eines »Stirb langsam«-Helden war Kevin auf die Bühne gestürmt, in der einen Hand seinen Polizeiausweis, in der anderen die gesicherte Dienstwaffe. Privatdetektiv Pawel Höchst war hinter ihm geblieben, doch seine Pistole war entsichert gewesen, und auch er hatte sich wie im Film gefühlt.
    Einmal hatte Pawel in die Luft geschossen, die Sicherheitsleute hatten sofort verstanden und nicht eingegriffen. Er war auf der Bühnenrampe stehen geblieben, Kevin hatte den Nationallyriker Tobias Siegfried März gegen das Rednerpult gedrückt. Dann hatten die Handschellen geklickt.
    »Meine Damen und Herren, bewahren Sie Ruhe!«, hatte Kevin ins Mikrofon gesagt, ein wenig zu laut. »Wir verhaften Tobias März. Er wird dringend verdächtigt, mindestens fünfzehn Menschen weiblichen Geschlechts getötet zu haben. Leisten Sie keinen Widerstand, und lassen Sie uns unseren Job machen.«
    Dann hatten sie ihn von der Bühne geholt.
    Wie schnell das alles gegangen war, Tobias konnte es noch immer nicht fassen. Er starrte den jungen Polizisten und den älteren Privatdetektiv ungläubig an, sprachlos. Er saß gefesselt auf der Rückbank eines alten Peugeot, den der Detektiv fuhr. Der Polizist saß auf dem Beifahrersitz und sah ebenfalls nach vorne.
    Pawel fuhr auf die Autobahnauffahrt und ordnete sich in den Verkehr Richtung Osten ein. Er sagte: »Ich schlage einen ruhigen Rastplatz vor. Ohne Imbissbude und dergleichen.«
    »Einverstanden«, sagte Kevin. »Nimm den nächsten Platz, der leer ist. Ich sperre ihn dann ab.« Er kramte in seinem Rucksack, bis er eine Rolle Absperrband fand, auf der sich das Wort Polizei wiederholte.
    »Daran hast du gedacht?«, fragte Pawel. »Donnerwetter!«
    »Reine Routine«, sagte Kevin. Er nagte an seiner Unterlippe, hütete sich aber, etwas zu
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