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Fremde Gäste

Fremde Gäste

Titel: Fremde Gäste
Autoren: Mary Scott
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selbstverständlich über den
ganzen Rücken. Weder der Mensch noch das Tier zeigten die geringste Angst.
    »Das ist Zauberei«, raunte
Letty mir zu. »Bei Gott, ich wollte, ich könnte das auch !«
    Nach wenigen Minuten rubbelte
David die kleine Stute unbefangen; vorsichtig streichelte er über die
Hinterbacken. Sie zeigte keinerlei Erregung und keine Neigung zum Ausschlagen.
Als David dann über die samtweichen Nüstern strich, wandte das Pferd sich um und
schnupperte an seiner Schulter. Einige Minuten standen sie so, dann sagte
David: »Nun ist’s gut, mein Mädchen! Jetzt keine Dummheiten! Wir wollen diese
netten Damen begrüßen .« Und mit einer Hand in ihrer
Mähne führte er die Stute auf uns zu.
    Doch das war zuviel verlangt.
Von uns wollte sie nichts wissen; Lettys Brot stieß sie zornig weg. Als aber
David das Brot ergriff und es ihr anbot, nahm sie es gierig; sie schüttelte den
Kopf, als ob sie sagen wollte: »Von dir wohl, aber nicht von den fremden Leuten !«
    Zum Schluß versetzte er ihr
einen Klaps. »Jetzt fort mir dir! Und in Zukunft bitte keine Dummheiten !« Als ob nichts gewesen wäre, schloß er sich uns wieder an
und meinte nur: »Sie ist schlecht behandelt worden, aber das kann man in
Ordnung bringen .«
    »Sie vielleicht wohl, aber ich
nicht«, sagte Letty niedergeschlagen, »obwohl ich schon viele von dieser Art
gezähmt habe. David, könnten Sie nicht für eine Zeit zu mir kommen — gegen
Entgelt natürlich — und dieses Tier vollends zur Ruhe bringen und mir bei den
anderen helfen? Dieses Mädchen aus der Nachbarschaft ist nur eine geringe
Hilfe. Sie wäre froh, wenn sie nicht mehr zu kommen brauchte, denn bei ihr zu
Hause sind so viele Kühe zu melken. Es wäre mir arg, wenn die kleine Stute nach
mir beißen und schlagen würde. Sie könnten sie bestimmt richtig behandeln. Hat
man Ihnen schon einmal gesagt, daß Sie eine magische Gewalt über Pferde haben ?«
    David lachte. Das sei seine
einzige Empfehlung für einen Beruf. Wenn Letty der Meinung sei, daß das genüge,
könnten sie’s ja eine Zeitlang miteinander versuchen.
    »Ich habe noch einen anderen
Fall«, sagte Letty, »eine Kostgängerin. Es ist eine brave kleine Stute, die ich
vor Jahren gekauft habe. Sie hat mir mehrere gute Fohlen gebracht und bekommt
jetzt das Gnadenbrot .« Sie führte uns zu einem
überdachten Gehege, wo eine alte Stute zufrieden graste. Ein größerer Kontrast
als zu dem Tier, das wir soeben verlassen hatten, war kaum denkbar. Der
Pensionistin konnte man ihr Alter ansehen. Letty meinte, sie sei mindestens
achtzehn Jahre alt. Der edle kleine Kopf war noch immer schön, aber der Körper
war der eines alten Pferdes, das seine Pflicht getan und sich nun von der Welt
zurückgezogen hat. Sie war dunkelbraun, aber Nase und Kopf waren mit
ehrwürdigen weißen Haaren gesprenkelt. Die einst schönen Augen waren ein wenig
eingesunken, zeugten jedoch noch immer von Klugheit. Sie gefiel mir sehr; David
aber blieb plötzlich stehen und sagte mit seltsam gepreßter Stimme: » Tinker ... mein Gott, das ist ja Tinker !« Schnell ging er auf das Tier zu. »Tinker !« rief er. »Tinker !« und ließ den
besonderen Pfiff hören. Das alte Pony warf sofort den feinen Kopf hoch; es
schien zu lauschen, drehte sich um und sah David an. Noch erstaunlicher war,
daß in Davids Augen etwas glitzerte, was man bei einem anderen für eine Träne
gehalten hätte. Immer wieder rief er: »Tinker, altes Mädchen, wo warst du denn
immer? Mein Gott, daß ich dich wiederfinde!«
    Es war bestimmt das
merkwürdigste Erlebnis des ganzen Tages, und Davids sachlicher Kommentar war
eigentlich überflüssig: »Das ist mein altes Pony, Miß Norwood .
Meine Eltern hatten es verkauft. Es kennt mich noch immer, und ich freue mich
blödsinnig, daß ich es wiedersehe .«
    Letty ließ sich nichts
anmerken. Sie sagte nur: »Ich habe die Stute vor Jahren bei einer Auktion
gekauft. Sie lahmte, war also als Reittier nicht zu gebrauchen; deshalb ging
sie billig weg. Sie brachte einige gute Fohlen und darf nun hier den Rest ihres
Lebens verbringen. Sie ist immer noch hübsch und freundlich, nicht wahr ?«
    David murmelte nur etwas, aber
zum erstenmal, seit ich ihn im Regen hatte stehen sehen, war er im Innersten
bewegt. Seine Mutter hatte zu Recht gesagt, sie hätten damals einen großen
Fehler gemacht, als sie das Pony verkauften. Sie wußten da noch nichts von der
Bindung, die er zu allen Pferden, besonders aber zu diesem hatte.
    Nun hatte er seinen
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