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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke
Autoren: Karin Fossum
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andere. Und ihr Herz ist schwach. Deshalb werden sie nicht alt. Und dann ist da noch irgend etwas mit ihren Händen.«
    »Was denn?«
    »Ihnen fehlt eine Falte in der Handfläche oder so.«
    Sejer blickte ihn verwundert an. »Ragnhild hat sich jedenfalls von ihm betören lassen.«
    »Die Kaninchen waren ihm dabei sicher eine Hilfe.«
    Karlsen zog ein Taschentuch hervor und wischte sich Schokolade aus den Mundwinkeln. »Ich bin mit so einem aufgewachsen. Wir nannten ihn den verrückten Gunnar. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann haben wir wohl geglaubt, er käme aus einer anderen Welt. Er lebt nicht mehr, er ist nur fünfunddreißig geworden.«
    Sie stiegen ein und fuhren weiter. Sejer bereitete eine schlichte kleine Rede vor, die er später dem Abteilungsleiter servieren wollte. Plötzlich war es ihm ungeheuer wichtig, einige freie Tage zu bekommen, um zu seinem Ferienhaus zu fahren. Gerade jetzt wäre das schön, die Wettervorhersage war vielversprechend, und das glückliche Ende von Ragnhilds Geschichte hatte ihn in gute Laune versetzt. Er starrte auf Äcker und Wiesen, registrierte plötzlich, daß sie langsam fuhren, und sah vor ihnen auf der Straße den Traktor. Ein grüner John Deere mit buttergelben Felgen kroch die Straße entlang. Sie konnten nicht überholen; wenn sie schon mal eine gerade Strecke erreicht hatten, war sie zu kurz. Der Bauer, der eine Schirmmütze und Kopfhörer aufhatte, saß wie ein Holzklotz da, er schien aus dem Treckersitz herauszuwachsen.
    Karlsen schaltete und seufzte. »Er hat Rosenkohl geladen. Kannst du nicht die Hand ausstrecken und einen Kasten mopsen? Den kochen wir dann in der Kantinenküche?«
    »Jetzt fahren wir ungefähr so schnell wie Raymond«, murmelte Sejer. »Im zweiten Gang durchs Leben. Das wäre wirklich was, du.«
    Nach der ländlichen Stille erschien die Stadt ihnen als verdrecktes wimmelndes Chaos von Menschen und Autos. Der meiste Verkehr strömte noch immer durch die Innenstadt, die
    Stadtverwaltung kämpfte verbissen für den Tunnel, für den die Pläne schon bereitlagen, gegen den aber immer neue Gruppen mit mehr oder weniger gewichtigen Argumenten protestierten. Die Lüftungstürme würden die Gegend verschandeln, die Bauarbeiten würden Lärm und Schmutz mit sich bringen, und schließlich würde es eine Menge kosten.
    Sejer starrte aus dem Büro seines Chefs auf die Straße hinunter. Er hatte gerade seinen Spruch aufgesagt und wartete nun auf die Antwort. Die stand schon fest. Holthemann würde niemals nein sagen, nicht, wenn Sejer die Bitte vorbrachte. Aber er hatte immerhin seine Prinzipien.
    »Du hast die Dienstpläne überprüft? Und mit den anderen gesprochen?«
    Sejer nickte. »Soot übernimmt mit Siven zwei Schichten, ich gehe davon aus, daß sie ihn bei der Stange hält.«
    »Dann sehe ich keinen Grund, nicht ...«
    Das Telefon klingelte. Zwei kurze Pieptöne, wie von einem hungrigen Vogel. Sejer war nicht religiös, sandte aber trotzdem ein Stoßgebet - möglicherweise zur Vorsehung, sie möge ihm doch nicht den Urlaub vor der Nase wegschnappen.
    »Ob Konrad gerade bei mir ist?« Holthemann nickte. »Ja, ist er. Stellt sie durch.«
    Er zog die Leitung gerade und reichte Sejer den Hörer. Sejer nahm an, vielleicht wollte Ingrid ihn sprechen, er brauchte sich ja nicht schon im voraus Sorgen zu machen. Es war Frau Album.
    »Ist mit Ragnhild alles in Ordnung?« fragte er rasch.
    »Ja, das schon. Wirklich. Aber sie hat etwas Seltsames erzählt, als wir dann endlich allein waren. Und da mußte ich einfach anrufen, ich fand, es hörte sich so merkwürdig an, und normalerweise denkt sie sich nichts aus, so etwas jedenfalls nicht, und deshalb rufe ich an. Dann habe ich doch immerhin Bescheid gesagt.«
    »Was ist denn los?« »Dieser Mann, mit dem sie zusammen war, der hat sie nach Hause gebracht. Er heißt übrigens Raymond, der Name ist ihr später noch eingefallen. Sie sind über die Kuppe und am Schlangenweiher vorbeigegangen, und dort haben sie eine kleine Pause eingelegt.«
    »Ja und?«
    »Ragnhild sagt, daß dort oben eine Frau liegt.«
    Sejer kniff überrascht die Augen zu.
    »Was sagen Sie da?«
    »Daß am Schlangenweiher eine Frau liegt. Ganz still und ohne Kleider.«
    Ihre Stimme klang ängstlich und verlegen zugleich.
    »Glauben Sie ihr das?«
    »Ja, ich glaube ihr. Würde ein Kind sich das denn ausdenken? Aber ich traue mich nicht allein dort hinauf, und ich mag sie auch nicht mitnehmen.«
    »Dann werde ich das überprüfen lassen. Behalten
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