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Fremde

Fremde

Titel: Fremde
Autoren: Gardner R. Dozois
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Einwohnerschaft von Aei war unterwegs zu den Ufern des Aome, zum Alàntene, und die Erdenmenschen hatten gerade die Nachhut der ungeheuren Menge eingeholt.
    Vor ihnen waren die Straßen, so weit das Auge reichte, mit dahinschlurfenden Reihen von Cian vollgepackt. Die meisten von ihnen gingen zu Fuß und trugen Kinder auf den Schultern, hielten Körbe mit Früchten oder fremdartig gewundene Blumengirlanden oder Gerätschaften aus poliertem Holz, Metall und Obsidian, deren Funktion zu erraten ein Mensch nicht in der Lage war. Dazwischen gab es Objekte, die überhaupt jede Definition unmöglich machten. Einige der Cian fuhren auch in sechsräderigen Karren, gezogen von großen, scheckigen Tieren, die irgendwie an riesenhafte Wildschweine erinnerten. Die Zügel hingen voll von sternförmigen schwarzen Blumen und Kristallglöckchen, so daß die Luft von einer klingelnden, melancholischen Musik erfüllt wurde, wenn die Wildschweine ihre Köpfe hoben, deren weiße spiralförmige Hauer im Licht der Sterne blitzten. Farber blinzelte erstaunt, als er einige Cian bemerkte, die ohne Sattel auf großen, geschmeidigen Wesen ritten, vielfüßige Schlangen oder reptilienhaften Tausendfüßlern ähnlich. Die Menge schien die Kreaturen unruhig zu machen; von Zeit zu Zeit stießen sie ein langes, qualvolles Blöken aus und beäugten die Versammlung mit traurigen, intelligenten Augen. Die Cian selbst – kleinwüchsige, schlanke Humanoide mit einer beunruhigend graziösen Art, sich zu bewegen – trugen zumeist dunkle Farben, aber ihre Kostüme waren reich geschmückt, phantasievoll, von feinstem Stoff und bestem Schneiderhandwerk. Schmuck aus Silber, Bernstein und Obsidian glitzerte hier und dort in der Menge, und über der ganzen, langsam daherziehenden Prozession lag eine eigenartige Stimmung düsterer Festlichkeit.
    Es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, bis die Masse der Nachzügler in die bereits auf dem Festplatz versammelte Menge eingesickert war. Während dieser Zeit wuchs das Murmeln des Alàntene von einem Wispern zu einer mächtigen, rhythmischen Meeresbrandung, die alles erfüllte, die Nacht, das Blut, das Hirn, das Mark, bis Farber merkte, daß er im Takt des mächtigen, langsamen Dröhnen der Trommeln und dem kehligen An- und Abschwellen des Gesanges atmete, und er vermutete, daß selbst sein Herz in diesem Rhythmus schlug. Janet LaCorte erklärte, sie bekomme Kopfschmerzen davon. Manchmal trug der Wind Bruchstücke einer schnelleren Musik zu ihnen herüber – kristallin, klingelnd und staccato, als Kontrapunkt zum gigantischen Puls des Weltherzens gespielt. Andere Geräusche gab es nicht, nur noch das Scharren von Millionen Füßen auf Kacheln, das Knarren von Wagenrädern und hin und wieder ein jammervolles Blöken der Schlangenwesen. Kein Cian sagte ein Wort. Brody war auf einem Trip – wie viele Terraner meinte er, die Feste, die Zeremonien der Eingeborenen, wären besser zu genießen, wenn man stoned hinging. Und nun kicherte er dauernd, seine Augen rollten, wanderten hin und her, er konnte sie auf nichts mehr fokussieren. Farber hatte sich die letzten fünfzehn Minuten erbittert mit Kathy Gibbs über irgendeine triviale Sache gestritten, wobei sie immer lauter und erregter wurden, bis Farber sich, als sie unten auf dem Festplatz ankamen, unter dem Stich einer von Kathys letzten Schmähungen losriß und wütend zu ihr herumwirbelte.
    »Du miese Nutte«, schrie er. Er war blaß geworden und sah aus, als wolle er sie schlagen.
    Kathy lachte ihm ins Gesicht. Die Beschimpfung hatte ihr die Röte ins Gesicht getrieben, und ihre Augen funkelten, aber sein Zorn schien sie sonst in keiner Weise zu beeindrucken. »Du bist heute abend nicht sehr amüsant«, stellte sie fest. Ein paar Haarsträhnen hingen ihr schweißverklebt ins Gesicht, und Farber konnte ihre Brüste deutlich durch den transparenten Stoff der Bluse sehen; ihre Brustwarzen zeichneten sich hart unter dem Stoff ab. Eine plötzliche Anwandlung von Begierde mischte sich unter seine Wut und verwirrte ihn. Sein Mund mühte sich, Worte zu finden, aber sie lachte ihn wieder aus, und die Worte erstarben ihm auf den Lippen. Sie hatte ihn nur zu gut durchschaut. »Bis nachher, Herzchen«, sagte sie, strich sich die Haare aus der Stirn und schenkte ihm ein verletzendes, wissendes Lächeln.
    »Du wartest hier gegen Mitternacht, in Ordnung?« Er erwiderte nichts. Sie musterte ihn mit ihren harten, spöttischen Augen, lächelte noch einmal und ging dann schnell fort.
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