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Fremde

Fremde

Titel: Fremde
Autoren: Gardner R. Dozois
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Sand. Es gab etwa zwei- bis dreihundert Tänzer jeden Alters, Männer, Frauen und Kinder. Einige von ihnen waren nackt, und die flackernden Fackeln warfen ein seltsames Spiel von Licht und Schatten auf die schimmernde Haut und die zuckenden Bewegungen der Glieder. Andere trugen phantastische Kostüme; hochragende, wippende Federbüsche, dazwischen juwelengeschmückte Federkleider und groteske, großköpfige Masken. Götter und Dämonen tanzten auf dem Strand, und ihre Schatten tanzten mit ihnen. In das Meer hinaus hatte man Plattformen errichtet, die nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche ragten. Auch darauf tanzten die glitzernden Gestalten, halb im Wasser, manchmal nach einem Sprung in die Luft sich direkt in die Fluten stürzend. Sie tauchten auf und nieder wie betrunkene, torkelnde Tümmler, als wären sie im Meer genauso zu Hause wie auf dem Land. Die Tänzer wirkten dabei trotzdem immer sicher, leichtfüßig und unglaublich beweglich. Sie drehten sich, hüpften, standen zitternd für einen langen Augenblick auf der Stelle, krümmten sich, sprangen einen Salto hoch durch die Luft. Seit Stunden, seit Sonnenuntergang, taten sie nichts anderes, und sie würden ohne Pause bis zum Sonnenaufgang weitertanzen. Farber sah ihnen lange Zeit zu. Erst nachher, als er sich vom Strand zurückgezogen hatte, stellte er fest, daß es mehr als drei Stunden gewesen sein mußten. Aber jetzt gab es keine Zeit, keine Dauer. Hin und wieder seufzte oder stöhnte die Zuschauermenge um Farber wie aus einem Mund, ein gewaltiges, artikuliertes Ahhh erhob sich zu den kalten, gleichgültigen Sternen, sank zurück unter den Gesang und brandete dann unwiderstehlich erneut auf. Ahhh. Genau wie die schwankenden Tanzbewegungen war es kein beabsichtigter Laut, der dem Willen unterlag wie die vorgeschriebene Antwort der Gemeinde in einer irdischen religiösen Zeremonie. Es war mehr eine unbewußte Reaktion, ein wortloses, widerstrebend geäußertes Zeichen der Ergriffenheit, das den Zuschauern fast gegen ihren Willen von der Macht des Alàntene entrissen wurde. Farber konnte sich dem nicht entziehen, seine Lippen öffneten sich wie an Angelhaken, und der Laut kam dumpf und abgehackt aus seiner Kehle. Ahhh, Ahhh. Und während er zusah, schien alles ineinanderzufließen – die Bewegungen der Tänzer, das Singen, die brausenden Flammenbanner der Fackeln, das schmerzvoll ekstatische Schreien der Instrumente, die Schatten auf dem feuchten Sand, die Hitze und der Schweiß der Körper neben ihm – und das Universum faltete sich über ihm zusammen, eine Ecke der Welt, die sich in sich selbst geschlossen hatte, und Erde, Himmel, Wasser wurden eins, ununterscheidbar.
    Und Farber riß sich erschrocken los. Er drängte sich fort vom Strand, rempelte an und stieß um sich, bis die Geräuschkulisse der Zeremonie weniger überwältigend war und seine Panik sich etwas gelegt hatte. Er hatte sich zu weit mittreiben lassen, war zu nahe an etwas völlig Fremdes geraten, dem intuitiven Begreifen einer Sache, für deren Verständnis sein Geist nicht ausgerüstet war. Er war tief erschüttert, schwindlig von den Gerüchen, dem Fackellicht und dem Fremden, und seine Beine fühlten sich an wie Gelatine. Langsam wankte er über den Strand in Richtung des Meer-Hauses. Der Alàntene hatte etwas Wildes und Trauriges und Verzweifeltes in Farbers Blut angesprochen, Sehnsüchte geweckt, die Farber weder benennen noch erfüllen konnte. Durch seinen Schädel tobte eine Gespensterhorde von chaotischen, unidentifizierbaren Gefühlen, grinste drängend und spöttisch am Rand seines Bewußtseins. Ihre Stimmen waren ein wenig verebbt, als er schließlich das Portal des Meer-Hauses erreicht hatte, aber er fühlte sich noch immer benommen und unsicher, und er war hilfloser verwirrt als jemals zuvor in seinem Leben. Eine Gruppe Terraner stand vor dem Haus, einheimische Drinks und Zerstäuber in den Händen, und beobachtete von hier aus die Zeremonie am Strand unten mit amüsierter Toleranz wie das Feuerwerk bei einer Party. Farber wich ihnen aus und ging hinein.
    Es war ein riesiges L-förmiges Gebäude, das etwas nördlich der Vereinigung zwischen dem Aome und dem Alten Meer lag. Der südliche Teil, der auf den Aome blickte, hieß Fluß-Haus; der östliche Flügel, der See zugewandt, war das Meer-Haus. Beide Flügel waren vom Boden bis zum Dach verglast, so daß ihre Fassaden zwei riesige Fenster darstellten, die nur vom Boden des Obergeschosses unterbrochen wurden. Das
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