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Freiwild Mann

Freiwild Mann

Titel: Freiwild Mann
Autoren: Edmund Cooper
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Olane, die betrunken und unwissend gestorben war? War es wegen Moryn, deren Tod gleichzeitig grotesk und heldenmütig gewesen war? War es wegen eines dreckigen, bärtigen Mannes, der das Haar eines männlichen Kindes gestreichelt hatte und dem es gleichgültig gewesen war, ob er leben durfte oder sterben mußte?
    Rura war zu verwirrt, zu leer, um zu vernünftigen Gedanken befähigt zu sein. Sie versuchte, auf Kayts Liebkosungen zu reagieren; aber in ihrem Blut war keine Leidenschaft. Keine Liebe, keine Ekstase. Nichts.
    „Was ist denn los, Liebling?“ fragte Kayt und versuchte, ihre Erbitterung zu verbergen. „Du gehörst jetzt der ersten Klasse an und hast den silbernen Nippel bekommen. Dafür habe ich gesorgt. Stimmt was nicht?“
    Rura küßte sie und preßte sie an sich. „Ich weiß es nicht, süße Amazone. Ich weiß es einfach nicht. Vielleicht bin ich nur übermüdet. Die Ausbildung war hart. Vielleicht überwältigt mich jetzt, wo alles vorbei ist, die Müdigkeit.“
    „Ein Urlaub würde dir gut tun“, sagte Kayt und streichelte ihr Haar. „Du hast eine Woche, bevor du deine Stelle antreten mußt. Ich kann Sonderurlaub beantragen – die verdammten Neulinge sind in der ersten Woche zu nichts zu gebrauchen –, und wir fahren zusammen an irgendeinen ruhigen Ort, wo …“
    „Nein, bitte.“
    „Du willst nicht mit mir wegfahren?“
    „Das ist es nicht. Ganz bestimmt, das ist es nicht.“
    „Was ist es denn dann?“
    „Ich hab es dir doch gesagt. Ich weiß es einfach nicht.“
    Kayt seufzte. „Na gut. Ich kann warten. Ich glaube schon, daß ich warten kann. Ich weiß, daß wir füreinander das richtige sind … Ich habe es für dich klargemacht, Rura. Denk daran. Ich hab es klargemacht. Ich weiß nicht, was da oben in der Heide geschehen ist, und du brauchst es mir auch nie zu sagen. Aber ich weiß, daß nicht das geschehen ist, was in meinem Bericht steht.“
    „Es tut mir leid. Es tut mir wirklich sehr leid.“
    Leutnant Kayt stieg aus dem Bett und schaute auf ihre Uhr. „In zweieinhalb Stunden beginnt der Letzte und der Erste Tag. Die Ansprache. Bis dahin müssen deine Sachen gepackt sein, das Zimmer muß gereinigt, die Neue eingeführt werden, und du mußt deine Uniform anhaben. Baby, wir sehen besser zu, daß wir ein bißchen vorankommen.“
    Rura seufzte und verließ das Bett. Sie hätte viel lieber den Kopf unter die Decke gesteckt, die Augen geschlossen und sich in einen Zustand des Nichtdenkens versinken lassen.
    Kayt hielt sie eng an sich, Brust an Brust, Bauch an Bauch, Lippen an Lippen.
    „Du liebst mich doch, Rura?“
    „Ja. Ich … Ich liebe dich.“
    „Dann ist ja alles in Ordnung. Wir werden schon einen Weg finden. Jetzt müssen wir zunächst etwas essen. Du mußtest noch nie eine von Currie Milfords Reden am Letzten und Ersten Tag durchstehen. Ich schon. Dazu brauchen wir einen vollen Magen. Dann kann man mit ein wenig Glück vor sich hindösen.“
    Rura schaute aus dem Fenster. Der Regen fiel stetig herab, der Himmel war durchweg grau. Sie dachte an all die ängstlichen und nervösen Novizinnen, die jetzt auf dem Weg ins Haus der Befreiung waren. Dann dachte sie an sich selbst, wie sie vor zwei Jahren ebenso ängstlich und ebenso nervös hierhergekommen war. Damals waren ihr der Abschlußtag und der Letzte und Erste Tag wie die allerwichtigsten Ereignisse, die jemals vorkommen würden, erschienen.
    Und jetzt empfand sie nichts. Und es regnete. Und wenn sie aus dem Fenster schaute, die Straße entlang, dann konnte sie außer Geistern und brennendem Heidekraut nichts sehen.
    Außer dem Mann, den sie nicht hatte umbringen können.
     

6
     
    Seitdem das College der Vernichterinnen im frühen dreiundzwanzigsten Jahrhundert erweitert worden war, gab es im Haus der Befreiung keinen Saal mehr, der groß genug gewesen wäre, alle dreitausend Frauen – Gäste, jene, die die Ausbildung gerade abgeschlossen oder gerade begonnen hatten, und das Personal –, die an den Feierlichkeiten des Letzten und Ersten Tages teilnahmen, aufzunehmen. Das Verabschiedungs- und Aufnahmefest wurde deshalb in der Lichthalle durchgeführt, einer großen Kuppel aus Hiduminium und Milchglas die letzte größere Arbeit der Architektin Cleo Castle, die auf der Jagd in den Waliser Bergen von einem Schwein geblendet worden war.
    Die Rede zum Letzten und Ersten Tag hielt traditionell die Premierministerin. Madam Curie Milford hatte jeden seit dem Mittelalter aufgestellten Rekord gebrochen, indem sie jetzt seit
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