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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Steppe ratterte, kam Farbe in Stellas Gesicht zurück, als öffne sich, je weiter sie sich von der Stadt entfernten, ein Blutgefäß nach dem anderen. Pjotr, der am Fenster saß, starrte mit versteinertem Gesicht über das Land. Es war die Steppe, in der der Oberfeldwebel Hesslich vermißt worden war. Und die 4. Kompanie verblutete …
    »Wir kommen dem Paradies immer näher«, sagte sie leise. »Unserem Paradies, mein Liebling.«
    »Auf Erden gibt's keine Paradiese, Stellinka.«
    »In Sibirien doch. Wir bauen uns ein eigenes auf.«
    »Wir werden noch weit laufen müssen«, sagte Pjotr ernst und wandte sich vom Anblick der Steppe ab. Links und rechts von der Bahnlinie lagen noch die Zeugen der sowjetischen Offensive: ausgebrannte deutsche Lastwagen, Panzerruinen, Troßfahrzeuge. Für das große Aufräumen hatte man noch keine Leute verfügbar, der Sturmlauf auf die deutsche Grenze war wichtiger. »Sehr weit müssen wir laufen …«
    »Sibirien ist unendlich«, sagte sie und legte den Arm um seinen Nacken. »Und wir haben viel Zeit, Pjotr. Zeit, die uns allein gehört.«
    Im Mai 1946, nach der großen Schneeschmelze, als die Taiga zu blühen begann und überall das frische Grün mit dem weiten blauen Himmel verschmolz, traf in dem Dorf Nowo Kalga, in der Niederung des Flusses Yayetta, eine Transportkolonne ein, die Holz abholen wollte. Unter den Ankömmlingen befand sich auch das Ehepaar Salnikow.
    Es sah sich um, ging durch das Dorf, grüßte höflich die neugierigen Bewohner und meldete sich dann bei dem Dorfsowjet, den man hier noch Starosta nannte, zu einer Unterredung. Damals war das noch der eisgraue, wetterharte und prostatakranke Nikita Iljitsch Kaschlew, ein breiter Mensch, der zeit seines Lebens nichts gekannt hatte als den Kampf gegen den Wald und die eisenharten Stämme, ein Mann, der mit den jakutischen Jägern und Nomaden soff, wenn sie ihre Felle auf der Sammelstelle ablieferten, und nebenbei neun Kinder gezeugt hatte, die auch im Wald arbeiteten.
    Kaschlew beäugte zunächst Stella Antonowna und fand sie sehr schön. Dann betrachtete er Pjotr Herrmannowitsch und entschloß sich, ihn nicht unsympathisch zu finden. Dann studierte er die ihm vorgelegten Papiere. Danach hatte das Paar fast ein Jahr in Jakutsk gewohnt, dann einen Monat in Sjuddjukar, der großen Jakutensiedlung. Stella Antonowna hatte in einer Weberei gearbeitet und Pjotr bei der Forstverwaltung. Das las sich gut – aber was hatte das in Nowo Kalga zu bedeuten?
    »Und nun?« fragte Nikita Iljitsch verschlossen. »Was wollt ihr hier?«
    »Wir kommen auf Empfehlung!« antwortete Salnikow.
    »Eine Empfehlung aus dem Irrenhaus, wie's scheint. Wer Nowo Kalga empfiehlt, kann nur verrückt sein!«
    »Wir möchten uns hier niederlassen.«
    »Hier? Für immer?«
    »Wenn das möglich wäre …«
    »Kommen aus Jakutsk, dem Paradies, und wollen in Nowo Kalga verschimmeln! Was ist los mit euch? Habt ihr eine ansteckende Krankheit? Seid ihr gottserbärmliche Halunken? Man kommt nicht nach Nowo Kalga aus freien Stücken.«
    »Sie leben ja auch hier, Nikita Iljitsch«, sagte Stella laut.
    »Ich bin hier geboren! Warum? Ich nehme es meinem Großvater übel, den der Zar in dieses Höllenloch verbannte! Aber ihr! Die Welt ist groß!«
    »Uns wird es hier gefallen, Genosse.«
    »Was wollt ihr hier machen?«
    »Wenn wir ein Stück Land pachten könnten …«
    »Ihr könnt euch den ganzen Urwald an den Hals hängen, die Verwaltung hat nichts dagegen. Du lieber Himmel« – Kaschlew machte eine ausladende Handbewegung – »es gibt einen Plan, auf dem ihr euch das Pachtland aussuchen könnt. Aber bevor ich euch den Plan gebe, erlaubt ihr mir die Frage: Ihr seid im Hirn wirklich gesund?«
    »Bis jetzt«, sagte Stella Antonowna und lächelte. »Man hat uns gesagt: Die Taiga verschlingt jeden. Dem kann man nicht ausweichen.«
    »Ein wahrer Philosoph, der das von sich gegeben hat«, knurrte Kaschlew.
    »Aber wenn man schon verschlungen wird, dann sei es am schönsten in Nowo Kalga.«
    »Dieser Philosoph war ein Idiot!«
    »Wir möchten hier leben!« sagte Pjotr mit fester Stimme. Seine Entschlossenheit beeindruckte Kaschlew sichtlich. »In ein paar Jahren sieht es hier anders aus. Der Fortschritt wird auch nach hier kommen.«
    »Aha! Du bist ein guter Kommunist?«
    »Ja.«
    »Ein gläubiger? Einer, der an Lenins Lippen hängt?«
    »Natürlich.«
    »Dann war es eine gute Idee, nach Nowo Kalga zu kommen«, sagte Kaschlew sarkastisch. »Such dir ein Stück Taiga
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