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Frauenbataillon

Frauenbataillon

Titel: Frauenbataillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sah sich interessiert um.
    »Hier wohnst du?« fragte er.
    »Im Keller.«
    »Wie eine Ratte.«
    »Ich kann mir keine Wohnung leisten.«
    »Natürlich! Wie könntest du auch unter Menschen wohnen?« Er grinste breit. »Man würde dich erkennen. Überall hängen deine Bilder. Das Vorbild Korolenkaja! Und was ist sie wirklich? Eine Deserteurin! Eine Fahnenflüchtige! Ein erbärmlicher Feigling! Nichts als eine räudige, aussätzige Ratte!« Er schlug die Fäuste aneinander, der Regen rann ihm in Bächen über das breite Gesicht. »Ich werde dich zur Kommandantur bringen! Da ist sie, werde ich sagen. Eure Heldin! Nun seid mal stolz auf sie! Wird das ein Fest werden!«
    »Es ist dein Recht, das zu tun«, sagte Stella Antonowna ruhig.
    »Ich könnte heulen vor Kummer und Scham!« Sibirzew umkrallte Stellas Schultern und zog sie zu sich heran. »Warum hast du das getan, Stellinka? Wir alle, die ganze Abteilung, sind voll Bewunderung für dich! Wie waren wir stolz, als du zur Heldin ernannt wurdest! Uns alle hat man damit geehrt. Und wenn es hart wurde an der Front, wenn wir kämpften um jeden Meter Heimaterde, dann haben wir oft gedacht: Jetzt müßte Stella bei uns sein! – Ja, so war es. Du warst immer unter uns, du warst unvergessen, und du wärest unvergessen geblieben, hätt' ich dich nicht entdeckt! Welch eine Schande für uns alle! Unser Vorbild ist ein Deserteur!«
    »Es ist eine lange Geschichte, Bairam Wadimowitsch.«
    »Es gibt nur eins, was zählt: Die Treue zum Vaterland! Die Befreiung der Heimat! Die Ehre! Alles hast du verraten! Warum?!«
    »Wir weichen auf«, sagte sie. »Komm mit in den Keller.«
    »Du bist allein?«
    »Wer sollte bei mir sein? Nur Ratten. Sie gehören zu mir.«
    Sie ging voran, erreichte einen Niedergang und blieb stehen. Überall lagen große Mauerreste herum, Ziegelsteine, Betonblöcke, verkohlte Balken. Eines Tages würden Bagger und Raupen kommen und alles planieren, um einen neuen Wohnblock darauf zu errichten.
    »Hier ist es. Geh vor, du bist der Besucher. Unten sieht es wohnlicher aus als hier oben. Sogar ein Sofa mit rotem Plüsch steht dort.«
    Sibirzew nickte. Seine Ahnungslosigkeit war erschütternd. Er meinte wohl, Stella müsse eingesehen haben, daß es nutzlos war, sich weiterhin zu verstecken. Aber kaum hatte er ihr den Rücken zugedreht, riß sie einen vielkantigen Betonblock von der Erde, hob ihn hoch und schmetterte ihn mit aller Wucht auf Sibirzews Schädel. Sein lautes Ächzen ging im Gepolter unter, er fiel sofort in sich zusammen, lag quer auf der Treppe, und das Blut strömte über sein Gesicht.
    Mit zusammengebissenen Zähnen und leeren Augen bückte sich Stella nach dem Betonblock und ließ ihn noch einmal auf Sibirzews Kopf fallen. Immer und immer wieder bückte sie sich, hob ihn auf, stemmte ihn hoch und ließ ihn niedersausen, bis der Kopf unkenntlich war, ein Brei aus Knochen, Hirn und Blut. Dann zog sie, während ein wilder Schauer ihren Körper überfiel, die Leiche an den Beinen hoch und versetzte ihr einen Tritt. Der Tote rollte die Treppe hinunter in den Keller und verschwand in der Dunkelheit. Wenn man ihn jemals fand, würde er ein von Ratten abgenagtes Gerippe sein. Bei der Planierung würde man so viele unbekannte Tote in den Trümmern finden, daß es nicht lohnte, ihre Gebeine aufzusammeln und zu begraben. Sie würden mit dem Bauschutt zermahlen werden.
    Pjotr Herrmannowitsch saß in der Wohnung und las als Lehrlektüre die wieder erscheinende ›Charkow-Prawda‹, als Stella Antonowna nach Hause kam. Den Kopfverband hatte er jetzt abgenommen, nur noch um den Mund herum klebten einige Pflaster, und auch das nur, damit man seine Aussprache entschuldigte. Russisch verstand er jetzt ganz gut, auch sprechen konnte er eine ganze Menge; wenn er sich aber mit den Nachbarn unterhielt, beschränkte er sich auf kurze geknurrte Worte. Niemand nahm ihm das übel; man verstand, daß er erst wieder sprechen lernen mußte. Er war ja überall beliebt. Bei der Bahnverwaltung hatte man ihm sogar nahegelegt, in den Eisenbahndienst einzutreten. Bis zum Fahrdienstleiter könne er es bringen, ein so intelligenter und fleißiger Genosse wie er. Pjotr Herrmannowitsch knurrte ein »Mal sehen!«, ließ aber heraushören, daß er im Grunde Bauer sei und kein Beamter.
    »Ist ein schönes Leben, Beamter zu sein«, sagte der Dienststellenleiter und gab Pjotr einen Wodka und eine Papirossa. »Du sitzt immer im Warmen, hast pünktlich dein Gehalt, machst dir die Hände nicht
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