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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau
Autoren: Christoph Hein
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schöner«, sagte sie, »und ich hatte gedacht, Sie würden …«
    Sie unterbrach sich. Der Maler lachte.
    »Du hattest gedacht, ich male dich, nicht wahr? Das habe ich bemerkt. Du hast dagesessen wie ein Modell in der Malakademie. Hast dich nicht gerührt in deinem dünnen Kleid. Aber ich male keine Menschen. Auch nicht so ein schönes kleines Fräulein, wie du eins bist.«
    »Es gibt Menschen, die nie lügen«, erwiderte sie streng.
    Er nickte. »Ja, das habe ich auch einmal geglaubt. Ich dachte und hoffte, ich würde nie in meinem Leben lügen. Aber dann kam der Tag, da habe ich den Menschen, den ich am meisten liebe, verraten. Sie weiß das bis heute nicht, sie weiß nicht, dass ich sie einmal verraten habe. Menschen sind so. Sie lügen.«
    Er legte die Zigarre neben sich auf die Bank, schlug das Blatt um und begann, das vertrocknete Grasbüschel neben der Bank zu zeichnen. Paula spürte die Kälte im ganzen Körper und stand auf.
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie. Er nickte nur.
    Paula ging über die Lichtung, die schmale Holzbrücke und die Köhlerwiese auf ihr Haus zu. Sie fühlte sich von dem Maler um ihr Bild betrogen. Als sie den Kopf hobund ihr Haus erblickte, schrak sie zusammen. Nun ging sie langsam auf die Haustür zu, immer gewärtig, einen neuen Wutausbruch ihres Vaters zu hören oder die jammernde und keifende Stimme ihrer Mutter. Sie war völlig verkrampft, als sie an der Tür stand und klingelte, doch im Haus blieb es still. Dann hörte sie die Schritte ihrer Schwester im Flur.
    »Wo warst du denn?«, fragte Cornelia, »Mutter hat mich schon dreimal nach dir gefragt.«
    »Ich habe mich mit einem Maler unterhalten«, antwortete Paula.
    »Mit einem Anstreicher?«
    »Mit einem Kunstmaler«, sagte Paula stolz.
    »Will er dich malen?«
    »Nein. Er malt keine Menschen. Nur Bäume und so.«
    »Sei froh, dass er dich nicht malen will. Dann müsstest du dich nämlich ausziehen. Ganz ausziehen, auch die Schlüpfer. Die wollen dich nämlich völlig nackt malen.«
    Cornelia lachte hellauf, als Paula sie entsetzt anstarrte, und schob ihre Schwester in die Küche.
17.
    Ein halbes Jahr später brachte ich Michael nach Berlin. Der Junge freute sich auf die neue Schule, und er freute sich auf die Zeit mit Kathi. Ich saß mit ihr im Wohnzimmer, während er die Sachen in seinem Zimmer einräumte. Manchmal kam er zu uns herüber und erbat etwas von Kathi. Dann ging sie mit ihm hinaus, ich hörte ihre Stimmen, ich hörte sie zusammen lachen, und ich fühlte mich plötzlich ausgeschlossen.
    Nun bewohnte ich das große Haus in Kietz ganz allein und sah meinen Sohn nur noch an den Wochenenden. Anden Freitagabenden konnte ich ihn von der Bahn abholen, häufig brachte ihn Kathi mit dem Auto, sie wohnte dann für zwei Tage bei uns und fuhr am Sonntagnachmittag mit ihm nach Berlin zurück. Unter der Woche arbeitete ich viel, saß von früh bis in den späten Nachmittag im Atelier, dann machte ich etwas Gartenarbeit, und am Abend erledigte ich den Haushalt, kochte eine Kleinigkeit und aß dann allein vor dem laufenden Fernseher. Das Wochenende war für Michael reserviert, ich war so glücklich, wenn wir wieder zusammen waren, dass ich diese Zeit vollständig ihm widmete. Wir machten Radtouren, spielten Schach, besserten am Haus etwas aus, fuhren zum Baden an den kleinen See und kochten gemeinsam. Ich tat alles, um ihm die Tage daheim so schön wie nur möglich zu machen. Wenn Kathi uns besuchte, veranstalteten wir regelrechte Kochfeste. Sie brachte aus Berlin Gemüse und Gewürzblätter mit, die ich nie zuvor gesehen hatte, und freute sich wie eine Schneekönigin, wenn sie mich mit einem neuen Rezept überraschen konnte. Wenn wir fertig waren, stapelte sich in der Küche alles drunter und drüber, es gab keine Schüssel und keinen Teller, die nicht benutzt worden waren. Ich genoss dieses Durcheinander, diese wilden Küchenorgien entschädigten mich für die einsame, langweilige Woche, in der es bei mir kaum etwas abzuwaschen gab.
    Kathi hatte beruflich Glück gehabt, zweimal musste sie ihre Arbeitsstelle wechseln, aber da sie patent und nicht auf den Mund gefallen war, hatte sie mit Hilfe von Freunden und Verehrern in einem Versicherungskonzern anfangen können und war dort innerhalb von zwei Jahren zu einer Art Chefmanagerin aufgestiegen. Ich bewunderte sie sehr. Sie hatte sich in einem völlig anderen Arbeitsgebiet schnell eingearbeitet, nahm alles leicht und machte unglaublich rasch Karriere. Kathi war ein Glückskind,was sie
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