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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau
Autoren: Christoph Hein
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auch anfasste, ihr gelang es. Sie reiste nun viel, es waren Tagesreisen, gelegentlich musste sie auch mal über Nacht wegbleiben, aber sie und Michael versicherten mir, mein Junge habe darunter nicht zu leiden. Die beiden verstanden sich nach wie vor sehr gut. Wenn sie bei mir waren, bemerkte ich, dass Michael und sie sehr vertraut miteinander waren, und so sehr mir das auch gefiel, ich konnte nicht verhindern, dass ich neidisch auf Kathi wurde. Das war dumm und unsinnig, denn ich war froh, dass es Kathi gab.
    Gelegentlich verabredete ich mich mit einem Mann, aber daraus entstanden nie Beziehungen, das waren nur zwei Schiffe, die sich nachts auf dem Meer kurz begegneten, um dann allein weiterzusegeln, wie es im Schlager heißt. Mir war nicht nach einem Verhältnis, ich musste nicht mit jemandem zusammenleben, den ich nicht liebte. Es wäre sicher vernünftig, wenn ich in meinem großen Haus jemanden hätte, vieles wäre leichter zu ertragen, aber es war unmöglich für mich. Vernunft ist keine Grundlage für ein Zusammenleben, eher für die Hölle auf Erden.
    Mir fehlte Sibylle, ich vermisste sie, ich dachte häufig an sie. Sibylle war der Mensch, den ich am heftigsten und schmerzlichsten vermisste. Ich liebte sie, doch sie hatte mich eingeschüchtert, bei ihr war ich immer ein wenig gehemmt, trotz ihrer Freundlichkeit, trotz all meiner Liebe. Bei Kathi war ich mir dagegen meiner sicher. Sie war verlässlich, das war für mich das Wichtigste, und ich verstand mich auch im Bett mit ihr. Ich hatte sie, nachdem Michael zu ihr gezogen war, einmal gefragt, ob der Junge etwas von unserem Verhältnis ahne.
    »Der ist doch nicht dumm«, hatte sie erwidert.
    »Was hat er gesagt?«
    »Nichts Direktes. Aber er weiß Bescheid, Paula, da kannst du sicher sein. Ist dir das unangenehm?«
    »Nein. Wieso? So ist das Leben. Es ist alles immer etwas anders. Das muss er lernen.«
    Nach einem Jahr wurden Michaels Besuche seltener. Manchmal rief er erst am Freitag nach der Schule an, um zu sagen, dass er nicht kommen könne, er habe Schularbeiten zu machen, die er nur in Berlin erledigen könne. Ein paar Monate lang kam er nur noch jedes zweite Wochenende, dann nur einmal im Monat, und nachdem er zwei Jahre in Berlin war, musste ich um einen Besuch betteln. Er hatte eine Freundin, Kathi erzählte es mir. Als ich ihn fragte, stritt er es ab.
    »Du klammerst, Mama«, sagte er, »ich bin sechzehn, du musst mir nicht mehr den Hintern abwischen.«
    »Ich will dir nur helfen«, begann ich.
    »Ich bin erwachsen. Ist das so schwer zu verstehen?«
    »Nein«, sagte ich, »natürlich bist du erwachsen, oder doch beinah. Ich muss mich nur an den Gedanken gewöhnen, dass der Herr flügge geworden ist und für seine alte Mutter keine Zeit mehr hat.«
    »Ich lebe mein Leben, das ist alles. Und dabei muss ich ein paar Sachen für mich sortieren, und zwar allein. War das bei dir damals anders?«
    »Du machst schon alles richtig. Entschuldige, wenn ich dir auf die Nerven gehe. Ich habe mich nur noch immer nicht an das Alleinleben gewöhnt.«
    »Du schaffst auch das, Mama. Du hast doch noch immer alles geschafft.«
    Ich sah ihn fassungslos an. Es war von ihm lieb und aufmunternd gemeint, aber mir wurde kalt bei seinen Worten.
    In den beiden letzten Schuljahren kam Michael auch in den Ferien nicht mehr zu mir. Er verdiente sich Geld oder reiste mit Freunden durch die Welt. Schließlich sah ich ihn nur noch, wenn ich Kathi besuchte, in unseremHaus hielt er sich überhaupt nicht mehr auf, das Dorf langweilte ihn.
    Während eines Besuchs bei Kathi lernte ich auch Michaels Freundin kennen, Melanie. Sie war eine Klassenkameradin, und die beiden waren seit Jahr und Tag zusammen. Es war ein hübsches Mädchen, eine ernsthafte Person, die sich unentwegt mit Michael unterhielt. Die beiden waren sehr verliebt, sie schliefen auch miteinander, wie mir Kathi erzählte. Melanie war mir gegenüber erstaunlich souverän und redete drauflos, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen. Dass ich die Mutter ihres Liebsten war, verschüchterte sie nicht.
    Das Leben in Kietz änderte sich merklich. Die landwirtschaftliche Genossenschaft war aufgelöst worden, zwei meiner unmittelbaren Nachbarn, Männer Mitte vierzig, waren arbeitslos, im ganzen Ort gab es kaum noch Männer, die eine richtige Arbeit hatten. Nun waren die Frauen die Ernährer der Familie geworden, sie arbeiteten in den neuen Supermärkten der Umgebung, brachten den Park in Ordnung, pflanzten Hecken und Sträucher
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